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Noch immer wohnt Blechacz in Nakło, irgendwo im Nichts zwischen Danzig und Warschau, und wie verkündet sind es maximal 45 Konzerte geworden. Sein damaliges Mantra gilt: Er brauche Zeit für seine weitere künstlerische Reifung. Einige gediegene CD-Produktionen zeugen von diesem bedächtigen Weg der Vervollkommnung, der sich nicht auf das Klavierspiel beschränkt: »Im Oktober 2008 habe ich angefangen, Philosophie zu studieren. Ich bin gerade dabei, über einen Text Edmund Husserls zu schreiben. Es geht um Musikhermeneutik. Irgendwann wird einmal eine Doktorarbeit daraus.«
Bohrende intellektuelle Perspektiven lenken auch seinen Blick auf das Studium neuer Werke: »Wenn ich eine Aufnahme vorbereite, will ich keine Interpretation der Interpretation. All die Einspielungen von Gieseking, Cortot oder Richter haben so etwas wie die Geschichte Debussys geschrieben. Diese Schicht muss man durchdringen. Ich will eine Stelle ja nicht piano spielen, weil es all die Großen gemacht haben, sondern weil es in den Noten steht. Nur die Intention des Komponisten zählt. Wenn man nur ganz viel Zeit hat, kann man regelrechte Abenteuer erleben mit scheinbar bekannten Stücken. Die sind oft so genial, dass es doch eine Täuschung wäre zu glauben, da sei schon alles entdeckt«.
An dieser Stelle würden viele Jungpianisten bei den Gemeinplätzen stehenbleiben. Aber der zurückhaltende junge Mann kommt in Fahrt. »Die beiden Zyklen, Pour le piano und Estampes, verlangen einen ganz unterschiedlichen Zugriff. Im ersten verraten ja schon die Titel, dass hier an die barocke Tradition angeknüpft wird, Textur und Struktur sind in dieser Hinsicht traditioneller. Das soll natürlich nicht heißen, dass die Toccata wie Bach klingen soll, aber ich will auf meiner CD schon hörbar machen, dass sich der Klavierklang ändert im Übergang zu den Estampes.«
In den »Jardins sous la pluie« gibt es eine Stelle, die er sehr liebt (ab Takt 75, sollte ein Leser Lust haben, es in seinen Noten nachzuprüfen): »Wieviel Zeit braucht man, bis die Passage wirklich gut klingt! Die rechte Hand spielt eine Art Melodie, die mich an fallende Tropfen erinnert, die linke hat eine Begleitstimme, nur zwei Noten im Wechsel, und darunter das harmonische Fundament. Ich habe versucht, für jede Stimme eine ganz eigene Farbe zu finden. Für die Oberstimme habe ich unendlich lange nach einem silbrigen Ton gesucht, ich spiele sie quasi staccato mit ein wenig linkem Pedal - ich will den Klang licht und hell, aber nicht zu transparent.«
Man hat den Eindruck, die einzige ihm erträgliche Interviewform wäre, nun Takt für Takt, Stimme für Stimme durch die Noten zu gehen und über die pianistische Realisierung und die schwierige Flügelsuche zu sprechen. »Heutzutage muss man schon erklären, was man tut, sonst verschwindet eine CD ganz einfach«, sagt er fast entschuldigend, dass er sich so weit ins Feld handwerklicher Feinarbeit gewagt hat. Aber wer die Qualität seines Spiels würdigen will, muss seine Ohren schärfen. Das ist keine Kunst, die Auditorien zum Toben bringt, die in ein paar Schlagworten charakterisiert wäre. Sie lädt den Kenner ein, die Lupe herauszuholen und bewundernd wahrzunehmen, dass die Details auch derart herausgehoben noch mit gediegener Schärfe hervortreten. Dass, um bei seinem Beispiel zu bleiben, ein paar meist unbeachtete Wechselnoten in der Mittelstimme in ihrem eigenen Klangregister plötzlich leuchten wie etwas Kostbares, bislang Unerhörtes. Die Zeit, die sich dieser Klangtüftler nimmt, ist gut eingesetzt.
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