home

N° 1297
18. - 24.03.2023

nächste Aktualisierung
am 25.03.2023



Startseite · Oper & Konzert · Da Capo

Reißerischer Religionsschwank: Verdis "Stiffelio"

Mannheim, Nationaltheater

Von den ungeliebten Frühwerken Verdis ist „Stiffelio“ das späteste. Entstanden unmittelbar vor „Rigoletto“ und „Il trovatore“, staunt man über die Schlagkraft der Melodien, über Knackigkeit und Gediegenheit – und über die weitgehende Abwesenheit von Arien, wodurch das Werk ähnlich versteckt blieb wie „Simon Boccanegra“. Wie unpopulär die Geschichte eines untergetauchten Predigers ist, lässt sich daran ermessen, dass nicht einmal Plácido Domingo eine CD-Gesamtaufnahme davon gemacht hat (sondern nur eine DVD). Und dass Verdi den Stoff später zur – ebenso glücklosen – Kreuzritter- Oper „Aroldo“ umarbeitete.
Im Nachgang zum Jubiläums-Jahr gebührt dem Mannheimer Vorstoß zu „Stiffelio“ die Verdi-Krone in Deutschland – überholt höchstens vom Hamburger Dreisprung mit „Battaglia di Legano“, „I due Foscari“ und „I Lombardi“. Regula Gerber am Nationaltheater gibt der (in Italien zensierten) Freiheitseiferei eine elegante, von Roland Aeschlimann edel ausgestattete Deutung – auf dem Grat zwischen reißerischem Religionsschwank und tiefernstem Oratorium. Worin die Gesellschaftskritik ursprünglich bestanden haben mag – bei Librettist Piave ist Stiffelio ein verheirateter Pfarrer! –, begreift man unterm Neon-Klapp-Kreuz freilich kaum.
Dirigent Alois Seidlmeier fegt bissig und klangschön durch die Partitur. Die Besetzung selbst der B-Premiere zieht erstaunlich in ihren Bann. Titelheld Martin Muehle mit herrlich baritonalem Rost in der Kehle ist kein Tenor- Weichei. Jorge Lagunes zeigt sich als Verdi- Bariton von echtem Schrot mit Korn. David Lee schmachtet dezent den Intriganten. Lediglich Ludmila Slepneva, die am Haus von Tosca bis Elsa, von Mimì über Minnie bis zur Gioconda alles singt, was vorkommt, bezahlt diese Treue mit einigen schrillen Tönen. Es ist eine der schönsten Wiederentdeckungen der letzten Jahre. Und ein Beweis, wie viel Leben derzeit in der Mannheimer Bude steckt.

Robert Fraunholzer, 31.05.2014, RONDO Ausgabe 3 / 2014



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Da Capo

Amsterdam (NL), Nederlandse Opera

Die Wiederentdeckung der russischen Oper geht voran. Vor allem dank hochmögender literarischer […]
zum Artikel

Café Imperial

Unser Stammgast im Wiener Musiker-Wohnzimmer

Nachdem Wagner zum Opernalltag gerechnet wird, zählen Meyerbeer und die Grand opéra, also auch […]
zum Artikel

Gefragt

Tianwa Yang

Caramba!

Die chinesische Top-Geigerin geht gerne ungewöhnliche Repertoire-Wege, wie auch auf ihrer neuen […]
zum Artikel


CD zum Sonntag

Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Der spätbarocke Dichter Barthold Heinrich Brockes (1680–1747) begründete seinen Ruhm durch die 1712 entstandene Passionsdichtung „Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus“. Mit dieser hochemotionalen Schrift war er so erfolgreich, dass gleich 13 zeitgenössische Komponisten diese vertonten, darunter Händel, Keiser, Mattheson und Stölzel. Auch Georg Philipp Telemann lernte den Text 1716 kennen und schrieb in seiner Autobiographie, dass „dessen Poesie von allen […] mehr


Abo

Top