home

N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Sony/John Abbott

Sonny Rollins

Der alte Mann und das Mehr

Auf der unermüdlichen Suche nach der einen Note: Der 83-jährige Saxofon-Koloss Sonny Rollins hat immer noch Großes vor.

Die Nachrichten über den letzten Mohikaner des modernen Jazz waren in den vergangenen Monaten nicht gerade ermutigend. Aufgrund seiner hartnäckigen Lungenprobleme verboten die Ärzte Sonny Rollins das Saxofon-Spiel, in der Folge gab es einige Festival-Absagen. Muss man sich ernsthaft Sorgen machen.
Rollins, der einst an der Seite von Miles, Monk und Bird an der Wiege des Bebop stand, lacht sein wunderbares, aus den tiefsten Tiefen des Zwerchfells kommendes Lachen. Man dürfe sich vom Leben nicht unterkriegen lassen, erklärt der 83-Jährige; er sei aber zuversichtlich, spätestens gegen Ende des Jahres wieder voll einsatzfähig zu sein. Schließlich habe er noch eine Menge vor: „Mir geht es darum, ein größeres Erbe zu hinterlassen. Ich bin sicherlich sehr glücklich, wenn mich Leute als einen der Baumeister des Modern Jazz bezeichnen. Ich will aber noch ein bisschen mehr in die Welt setzen. Ich habe viele neue Ideen, die ich bisher noch nicht realisieren konnte.“
Wie diese Ideen aussehen sollen, weiß Rollins selbst noch nicht. „Sehen Sie, ich bin Jazzmusiker. Ich möchte etwas kreieren, das vollkommen natürlich, frei und unerwartet ist“, gibt er zu verstehen. So habe man es auch damals in den goldenen Zeiten gehalten, als der junge, hünenhafte Tenorsaxofonist in New York mit den Bop-Renegaten die Musik des 20. Jahrhunderts revolutionierte. „Wir versuchten, Musik aus dem Moment heraus zu erschaffen“, erinnert sich Rollins, „ich hatte das Glück, dabei von einigen großartigen Leuten umgeben zu sein. Wir haben nie geglaubt: Oh, das wird man in 100 Jahren noch hören! Niemand dachte an die Nachwelt.“
Wie auch immer sich die musikalische Zukunft des Saxofon-Kolosses ausnehmen mag – Rollins deutet eine neue Band und ein Studio- Album an – im Hier und Jetzt legt er erst mal den dritten Teil seiner „Road Shows“-Serie vor, eine Zusammenstellung von Live-Mitschnitten, die zwischen 2001 und 2012 bei Konzerten in Frankreich, Japan und den USA aufgenommen wurden. Höhepunkte sind ein atemberaubender assoziativer Solo-Parforce-Ritt durch das Melodien-Terrain des vergangenen Jahrhunderts sowie eine 23-minütige Fassung des Kern-Hammerstein-Klassikers „Why Was I Born?“
Wozu sind wir auf der Welt? Rollins hat eine einfache Antwort parat: „Um über uns hinauszuwachsen. Wir sind mit unserer Geburt für eine höhere Sache berufen, die wir nicht erklären können und nicht in Worte fassen können.“ Wobei der Saxofonist für sich schon seit langem ein Ziel definiert hat. Es ist die Suche nach dieser einen Note, die alles umfasst. „Deshalb möchte ich ja auch so schnell wieder an mein Saxofon zurück“, sagt Rollins, „ich habe diese eine Note noch nicht gefunden. Keine Ahnung, wie es sich mit ihr verhält – ob sie eine Note ist, die ich mit meinem Horn spielen kann, oder ob es eine Note ist, die ich nur im Kopf höre, auf die ich mich aber immer beziehen kann. Es ist alles sehr geheimnisvoll, so geheimnisvoll wie die Musik. Sie ist wahrhaftig ein Geschenk der Götter. Ich bin froh, dass ich es erhalten habe – und möchte besser werden, um an diesen Ort zu gelangen, zu dieser einen Note. Weil ich weiß, dass es sie gibt.“

Neu erschienen:

Road Shows, Vol. 3

Sonny Rollins

Okeh/Sony

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Josef Engels, 07.06.2014, RONDO Ausgabe 3 / 2014



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Pasticcio

Die Zukunft eines Traditionschors

Meldungen und Meinungen der Musikwelt

Der Rundfunkchor Berlin hat eine wahrlich bewegte Geschichte hinter sich. Bis zurück ins Jahr 1925 […]
zum Artikel

Da Capo

Durchbrennen statt Büro

Berlin, Staatsoper Unter den Linden: Wagners […]
zum Artikel

Pasticcio

Aus der Heimat geworfen

Nicht nur seinen Lebensabend hat sich Valentin Silvestrov ganz anders vorgestellt. Auch seinen 85. […]
zum Artikel


Abo

Top