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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Johannes Brahms

Die vier Sinfonien

WDR Sinfonie-Orchester, Semyon Bychkov

AVIE
(169 Min.) 3 CDs

Eine der eindrucksvollsten Brahms-Einspielung, die ich in letzter Zeit gehört habe, stammt aus Köln. Es handelt sich um die zwischen 2002 und 2004 entstandene Aufnahme des WDR Sinfonie-Orchesters unter der Leitung von Semyon Bychkov, einem jener Dirigenten, die zwar weltweit gefragt sind, die aber - so scheint es mir - eine ungünstige Marketingentscheidung getroffen haben. Bychkov, der glänzend mit Shostakovichs Fünfter und den Berliner Philharmonikern bei Philips begonnen hatte, ist seit seiner Zeit beim WDR Sinfonie-Orchester diskographisch völlig unterrepäsentiert, was man - seine Fähigkeit als Orchesterleiter und Interpret betrachtend - nur als Trauerspiel ansehen kann.

Bychkov und das WDR Sinfonie-Orchester sind im interpretativen Ansatz keine Neuerer, so wie Mackerras und Gardiner. Die Tempi werden bei Bychkov bspw. durchaus traditionell gewählt.
Was jedoch besticht, ist die Liebe zum Detail, die mir schon fast aus jedem Takt zu dringen scheint. Mir geht es da ähnlich wie bei Kegels Aufnahmen, die ja in vieler Hinsicht auch sehr detailversessen sind. Grundsätzlich scheinen mir Bychkov und die Musiker des WDR eine Symbiose zu versuchen, und zwar die, mit einem Orchester in großer sinfonischer Besetzung leicht, durchsichtig und vor allem an der kammusikalischen Struktur des Brahmsschen Satz orientiert zu musizieren, was meines Erachtens (auch Dank DSD- und SACD-Technik) durchweg gelingt. Dazu schafft es Bychkov gleichzeitig, den großen Bogen zu erhalten und nicht in schnöden Strukturalismus zu verfallen. Wir erleben durchweg Aufnahmen, die auf der einen Seite zwar den emotionalen Romantiker im Sinfoniker Brahms im Blick haben, ohne dabei aber den ja oft geradezu tüftelnden intellektuellen Komponisten aus den Augen zu verlieren, dem Hanslick so negativ gegenüber stand (Zur Vierten: "Den ganzen Satz über hatte ich die Empfindung, als ob ich von zwei schrecklich geistreichen Leuten durchgeprügelt würde.").
Klanglich ist der gesamte Zyklus ausgesprochen gut anzuhören, es gibt zu keiner Zeit, auch nicht in den wuchtigen Passagen der ersten Sinfonie, amorphe Klangballungen oder verwischte, ungenaue Passagen. Das Orchester kann satt spielen und dabei eben doch auch differenziert. Ohnehin begeistert das WDR-Orchester mich durch seine Spielkultur, seine dynamische und agogische Flexibilität und Bandbreite, sein Aufeinander-Hören (im Übrigen eine Karajansche Prämisse, die er selbst in vielen seiner Aufnahmen nicht so recht umgesetzt hat). Hier hört man einfach gerne zu.
Dazu schafft es Bychkov bspw. im Gegensatz zu Rattles jüngster Einspielung, den Charakter der einzelnen Sinfonien – ich möchte beinahe sagen: vorbildlich - zu treffen und die ganze Tiefe des Kosmos der Brahmsschen Sinfonik vor Ohren zu führen.
Insgesamt bin ich der Meinung, dass diese Einspielung zum Besten gehört, was in Sachen Brahms gegenwärtig auf dem Markt ist, eine Einspielung, die Maßstäbe setzen könnte – wäre sie nur besser vermarktet.

Wolfgang-Armin Rittmeier, 35 Jahre, Meinersen OT Päse


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