Ein Stadtporträt? Warum auch nicht? Wer in eine fremde Stadt reist, kann viel entdecken – Historisches und Aktuelles. Dies zeigt auch der „Napoli Trip“ von Stefano Bollani. Wer durch die Stadt flaniert, hört volksmusikalische Ohrwürmer, aber auch Disco und Elektropop. Diese Vielfalt greift Bollani in einem musikalischen Porträt auf, indem er in „Il bel ciccillo“ und „´O guappo ´nnamurato“ ein siebenköpfiges neapolitanisches Ensemble engagierte, das volksmusikalische Fröhlichkeit ins Geschehen bringt. Auch Bollanis eigene Kompositionen „Vicoli“ und „Lo choro di Napoli“ wirken, als stammten sie von Volksliedern ab. Die bekannteste Hymne an die Stadt – „O sole mio“ – nahm der Tenor Enrico Caruso 1916 als erster Sänger auf Platte auf. Hundert Jahre später verwandelt sie der Pianist Stefano Bollani in eine Drehwurmmelodie, bei der er die charakteristische Melodie bis zur Unkenntlichkeit umbaut: Er frönt nicht der Werktreue. Mit aus Norwegen importieren NuJazzern, darunter dem Samplingspezialisten Jan Bang oder dem Trompeter Arve Henriksen, bringt er zudem zeitgenössische Farben ins Geschehen, und mit dem Klarinettisten Nico Gori, dem Tenorsaxofonisten Daniele Sepe und dem Schlagzeuger Manu Katché schafft er Zwitter aus Jazz und Volksmusik. In der Coverversion von „Guapparia 2000“ des italienischen Sängers Lorenzo Hengeller singt Bollani sogar. Die stilistische Vielfalt und das permanente Kokettieren mit Volksmusik verleihen der Platte einen gewissen Charme. Andererseits stehen die sechzehn Titel oft ziemlich unvermittelt nebeneinander, so dass letztendlich der rote Faden fehlt. So bleibt Bollanis „Napoli Trip“ eine kurze Stippvisite, wie sie Touristen unternehmen, die nur in verschiedenen Ecken vorbeischauen, ohne eine Stadt tatsächlich kennenzulernen.

Werner Stiefele, 23.07.2016

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