Wie klingt es, wenn man zu sich gefunden hat? Vielleicht so wie in „Let It All Go“, dem ersten Stück von Lisa Simones intimen Selbstreflexionsalbum „My World“. Eine poppige Akustik-Gitarre macht da gemeinsame Sache mit einem trickreich groovenden Schlagzeug; zusammen folgen sie der Sängerin und dem Song auf ihren elegant sich windenden Wegen zwischen Singer/Songwriter-Narrativ, Gospeleinflüssen und einer mehrstimmig vorgetragenen, deutlich in Richtung Jazz weisenden Bridge.
Es ist genau jener Stilmix, mit dem auch Nina Simone, Lisa Simones berühmte Mutter, ihr Publikum berührte. Doch bei der Tochter klingt das alles weit weniger zerrissen, gehetzt und verzweifelt wie bei der von inneren und äußeren Dämonen getriebenen Erzeugerin. Man muss das Leben nehmen, wie es ist, singt Lisa Simone.
Und schließt damit ihren Frieden mit einer äußerst turbulenten Kindheit, die von sprunghaften Umzügen, schmerzhaften Erlebnissen und großer Unsicherheit geprägt war. Wer mehr darüber wissen will, schaue den großartigen Dokumentarfilm „What Happened, Miss Simone?“. Vor diesem Hintergrund nötigt die ruhige Selbstgewissheit und Sanftmut, die Lisa Simone auf „My World“ an den Tag legt, noch mehr Respekt ab. Die von dem aus dem Senegal stammende Gitarristen Hervé Samb produzierten Stücke atmen eine große Gelassenheit mit ihrer sparsamen, gelegentlich um Streicher erweiterten Instrumentierung und ihrem Mix aus Blues, Folk und dezenten Afro-Einsprengseln. Es erinnert ein wenig an Cassandra Wilson.
Lisa Simone, die vor der Mutter zunächst in die US-Army, dann ins Musicalfach flüchtete, will nichts beweisen und legt sich stimmlich – bis auf wenige Soul-Koloraturen – größte Zurückhaltung auf. In erster Linie will sie erzählen. Vom Tag, als ihre Mutter starb („Tragique Beauty“). Von der Zuversicht und der Freude, die ihr die Geburt der eigenen Tochter gab („Unconditionally“). Und davon, dass alles gut werden möge („I Pray“, das neben „If You Knew“ stärkste, weil ungeschminkteste Stück des Albums). Es sieht so aus, dass Lisa Simone den Seelenfrieden gefunden hat, der ihrer Mutter nie vergönnt gewesen war.
Josef Engels, 18.06.2016
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