Gregory Porter ist zweifellos eine der bemerkenswertesten Erscheinungen, die aus dem Jazz und seinen angrenzenden Gebieten in den vergangenen Jahren hervorgegangen ist. Als Beleg dafür sei angefügt, dass „Liquid Spirit“, das Blue-Note-Debüt des Sängers aus dem Jahr 2013, das inzwischen meistgestreamte Jazz-Album der Gegenwart ist.
Das erstaunt auch deshalb, weil Porter auf sämtliche Modernismen verzichtet. Auf seinen Einspielungen gibt es keine Re-Interpretationen von bekannten Popsongs, kein elektrisches Instrumentarium. Seine Platten wirken vielmehr so, als seien sie via Zeitkapsel aus den späten 60ern in die Gegenwart geplumpst. Da macht auch der „Liquid Spirit“-Nachfolger „Take Me To The Alley“ keinen Unterschied.
Die Gospeleinflüsse des Vorgängers wurden zugunsten eines dezidierten Soul-Einschlags zurückgedrängt, der mal an Motown, mal an Oscar Brown Jr. oder Jon Hendricks („Fan The Flames“), mal sogar ein wenig an die frühen Platten von Chicago (etwa in „Consequence Of Love“) erinnert. Der Rest bleibt gleich: Die bläserbewehrte akustische Begleitband um den Pianisten Chip Crawford – und die einzigartige Wirkung, die der Komponist und Sänger Porter auf den Hörer ausübt.
Der 44-Jährige ist ein Kerl wie ein Baum mit ebensolcher Stimme: verlässlich stark, schattenspendend und beruhigend. Man kann sich an dem warmen Bariton anlehnen, fühlt sich verstanden. Es besteht aber auch die Gefahr, dass man eindöst.
Das wäre allerdings unangebracht. Ähnlich wie bei Gil Scott Heron oder Marvin Gaye dient die einnehmende Musik als Trägermedium für soziale Botschaften. Sei es, dass er angesichts des Papst-Besuches in den Staaten mehr nicht-institutionalisierte Mildtätigkeit einfordert („Take Me To The Alley“), sei es, dass er seinen kleinen Sohn zu fantasievollem Widerstand gegen gesellschaftliche Beschränkungen ermutigt („Day Dream“): Porter hat viel zu sagen. Und man hört ihm nach wie vor gerne dabei zu.
Josef Engels, 07.05.2016
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