Hierzulande ist die 58-jährige Komponistin, Bandleaderin und Pianistin Myra Melford sträflich unterbewertet, in Amerika ist sie Trägerin höchster Auszeichnungen. Sie übt eine Art Brückenfunktion in der neueren Musikentwicklung aus. Geprägt von ihrem Lehrer, dem Mingus-Pianisten Jaky Bard, fühlt sie sich auch seelenverwandt mit der freiheitlichen Urgewalt eines Cecil Taylor und ist außerdem tief beeindruckt von der strukturell-abstrakten Kompositionsweise eines Anthony Braxton; heute ist die höchst eigenständige Musikerin mit den Nachfahren der Avantgarde der 80er und 90er Jahre aufs Beste vernetzt, wie ihr Bandprojekt „Snowy Egret“ nachdrücklich beweist. In ihm wirkt Ron Miles mit, der Kornettist mit der ganz eigenen linearen Sprache und dem faszinierend unprätenziösen Ton; Liberty Ellman, der eng mit den rhythmischen Neuerungen der M’Base aus Brooklyn verbunden ist, spielt Gitarre, und die Betonung starker Rhythmen in ihrer ganzen Vielfältigkeit wird durch den ursprünglich Koto spielenden Bassgitarristen Stomu Takeishi und den enorm vitalen und universellen Schlagzeuger Tyshawn Sorey noch vertieft.
Eigentlich galt das Bandprojekt einer Multimedia-Performance zu Texten von Eduardo Galeano, in denen die Geschichte Mittel- und Südamerikas thematisiert wird. Melford war überzeugt, dass die Musik auch auf eigenen Füßen stehen könne, und dieses Album beweist, wie recht sie damit hat. Die zehn ungefähr gleich langen Stücke sind nicht nur abwechslungsreich, sondern ihr Ablauf folgt wohl aufgrund seines Ursprungs einer inneren Spannung. Es gibt kraftvolle rhythmische Verdichtungen über ausgebufften Motiven, die oft einer simplen und doch herrlich verqueren Logik folgen, daneben stehen mitreißende Ausbrüche in freies Pulsieren, gefolgt von Passagen streng geradlinigen Diskurses, und immer wieder überrascht die Komponistin mit erstaunlich lyrischen Einlassungen am Klavier, die um die Monk’sche Ecke denken. „Snowy Egret“ ist eine traumhafte Entdeckung in doppeltem Sinne: Der Snowy Egret, der schneeweise Reiher, ist Melford tatsächlich in einem märchenhaften Traum erschienen.
Thomas Fitterling, 12.09.2015
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