Pirouet/Edel:Kultur PIT3056
(139 Min., 7/2009) 2 CDs
Der 47-jährige Pianist Bill Carrothers ist ein Eigenbrötler mit einem skurrilen Sinn für Humor. Als er in den 90er Jahren quasi den Durchbruch in New York schaffte, zog er es vor, ins ländliche Michigan zu ziehen und sich fürderhin nur projektgerichtet zu selbst gewählten Begegnungen an die Brennpunkte der Szene zu begeben. Das tut er selbstbewusst und ohne Scheu vor Publikum. Sein Personalstil ist von einem innigen, fast erotisch taktilen Verhältnis zu seinem Instrument geprägt. Er verehrt die von Bill Evans kommende neue Innerlichkeit eines Keith Jarrett ebenso wie die strenge Linearität des Trompeters Clifford Brown und die Beboptradition eines Bud Powell.
Vor zwei Jahren gab er ein Gastspiel im Village Vanguard, dem intimen New Yorker Club, der seit Jahrzehnten als das allerheiligste Sanktuarium des modernen Jazz gilt. Mit der ihm eigenwilligen Strenge hat Carrothers einen ganzen Abend seines einwöchigen Engagements eingespielt und unverändert in Gänze veröffentlicht. Ihm assistierte seine langjährige europäische Rhythmusgruppe aus den Belgiern Nicolas Thys am Bass und Dré Pallemaerts am Schlagzeug. Die beiden begleiten den Pianisten schlafwandlerisch sicher und stets dienlich durch ein Programm, das im ersten Set weitgehend dem Repertoire Clifford Browns gewidmet ist. Carrothers unterzieht es einer spannenden Exploration unter deutlich entschleunigten Bedingungen und wagt immer wieder auch Versuchsreihen in quer denkende Richtungen. All das geschieht mit großer Empathie für die Vorlagen und begeistert mit beträchtlichem musikalisch emotionalem Erkenntnisgewinn. Im zweiten Set kommen dann auch Carrothers Eigenkompositionen ins Spiel, die Faszination aus intimer Innerlichkeit verstärkt sich noch. Doch bei aller Magie des außergewöhnlichen Klavierspiels ist die Verzauberung nicht total, die Interaktion des Trios ist nicht ganz auf der Höhe der knisternden Feinnervigkeit von Carrothers New Yorker Besetzungen mit dem Schlagzeuger Bill Stewart – und der Sound der Aufnahme wirkt historisierend als läge ein Grauschleier über der Brillanz der Klangfarben.
Thomas Fitterling, 23.07.2011
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