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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Johann Sebastian Bach

Matthäus-Passion

Niederländische Bach-Gesellschaft, Jos van Veldhoven

Channel Classics/harmonia mundi CCS 32511
(165 Min., 4/2010)

Vielfalt der Interpretationsansätze im Rahmen einer historisierenden Aufführungspraxis – nachdem solistisch besetzte Versionen der "Matthäus-Passion" seit einigen Jahren vollkommen salonfähig sind und sich auch bei Live-Aufführungen neben den zuvor üblichen maßvoll (mit drei bis vier Sängern pro Chorstimme) bestückten Darbietungen etabliert haben, bietet Jos van Veldhoven eine neue besetzungstechnische Lesart der Partitur an, die von einer elementaren Fragestellung ausgeht: Ist der doppelte Aufführungsapparat der "Matthäus-Passion" (zwei Chöre, zwei Orchester) wirklich symmetrisch angelegt? Van Veldhoven verneint dies und verweist auf die asymmetrische Aufgabenverteilung: Chor I stellt die Solisten für die größten Erzählerpartien (Evangelist, Christus) und außerdem für die meisten (van Veldhoven meint außerdem: die wichtigsten) Arien. Chor II dagegen hat über weite Strecken insgesamt nur verstärkende (in den Chorälen und Turbae) bzw. dialogisch zutragende (in den großen Rahmenchören) Aufgaben. Van Veldhoven zieht für seine Praxis aus dieser Faktenlage den Schluss, dass der wichtigere Chor I stärker zu besetzten sei, er gesellt dem Soloquartett acht Ripienisten bei. Die Folgen sind weniger gravierend, als man zunächst annehmen möchte. Im dialogischen Eingangs- und Schlusschor antwortet den zwölf Chor-I-Sängern jeweils ein Soloquartett, was klagdramaturgisch durchaus Sinn ergibt. Weniger sinnvoll erscheint diese Asymmetrie im tatsächlich doppelchörigen "Sind Blitze, sind Donner", hier lässt die Besetzung Fragen offen. Darüber hinaus verfährt van Veldhoven so wie heutzutage viele Protagonisten der historisierenden Aufführungspraxis. Er lässt die Gesangssolisten gleichzeitig den Chor bzw. den Kern des Chores bilden – mit einer Ausnahme: Er gönnt sich einen Extra-Solisten, indem der Evangelist (Gerd Türk) bei ihm nicht identisch ist mit dem Arientenor von Chor I (Julian Podger).
Besetzung hin, Besetzung her, die komplizierte Frage der 'richtigen' Ensemblestärken fordert einmal übermäßig viel Raum. Wichtiger scheint die eigentliche interpretatorische Qualität dieser live mitgeschnittenen Produktion. Und in diesem Punkt gibt es starke Schwankungen. Die Ensemblesätze sind allesamt gut gelungen; sehr organisch entfalten sich die großen Bögen des Eingangschors, gefasst und sprachlich prägnant kommen die Choräle daher (der allererste mit sehr langen, geradezu zerteilenden Fermaten – zum Glück gibt van Veldhoven dieses Prinzip danach sofort auf). Problematischer präsentieren sich die Solosätze. Der Altist Tim Mead (Chor I) singt häufig zu hoch, sein Kollege Matthew White (Chor II) überzeugt in "Erbarm es, Gott/Können Tränen" auch nicht sonderlich. Ebenfalls unrein intoniert Julian Podger (Chor I, Arien), ganz im Gegensatz zum hervorragend disponierten Charles Daniels (Chor II: "Geduld" – diese Arie in sehr verinnerlichter Version!), von dem man dementsprechend gern mehr gehört hätte. Großartig gibt sich Peter Harvey als Christus und Haupt-Arienbass, weniger beglückend die etwas unausgewogene Amaryllis Dieltiens (Sopran-Arien Chor I); ihre in Sachen Solo deutlich weniger geforderte Chor-II-Kollegin Siri Thornhill überzeugt dagegen weit mehr.

Michael Wersin, 09.04.2011


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