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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Ein unzeitgemäßer Stoff, sollte man meinen, erst recht für heutige Großstädter, denen Kloster, Märtyrertod und Mysterium gelinde gesagt fremd anmuten müssen (es sei denn, man verwechselt so etwas mit den beliebten Wellness-Wochenenden hinter Klostermauern). Umso bemerkenswerter der stürmische Applaus des Hamburger Staatsopern-Publikums 2008 für das 1957 an der Scala uraufgeführte Karmeliterinnen-Drama des tiefkatholischen Poulenc. Aus dem berühmten, von Gertrud von le Fort und Georges Bernanos überlieferten Sujet – der historisch verbürgte Märtyrertod von 16 Nonnen, die 1792 dem jakobinischen Revolutionsterror zum Opfer fielen – wollte Nikolaus Lehnhoff in Hamburg nichts Politisches machen (sieht man vom Kontrast der weiß gekleideten Opferfrauen und der schwarz bemäntelten Männerschergen ab). Auch das von le Fort 1931 in ihrem Roman eigentlich intendierte Menetekel des NS-Terrors war sein Thema nicht. Der leere, von schwarz-weiß changierenden Säulen umrahmte Bühnen-Andachtsraum (Raimund Bauer) konzentrierte vielmehr alle Aufmerksamkeit auf die höchst eindringlichen "Dialoge" der Protagonistinnen: Hier die wahrhaft tragische alte Priorin (Kathryn Harries), die ein Leben lang betend den Tod zu fassen sucht und diesem dann doch verängstigt und hilflos gegenübersteht, dort die seit ihrer Kindheit von hysterischer Lebens- und Todesangst getriebene junge Blanche (Alexia Voulgaridou), die im Kloster Seelenfrieden sucht und diesen erst findet, als sie aus freiem Entschluss ihren Mitschwestern in den Tod folgt. Zwischen diesen Polen entfaltet Lehnhoff Psychogramme, deren ergreifende Menschlichkeit auch im schier übermenschlichen Märtyrer-Sujet sichtbar bleibt. Lange wirkt schließlich das schockierende Schlussbild nach: der Bühnenvorhang als riesiges, in einzelne Abschnitte aufgeteiltes Fallbeil. Die Hamburger Sängerriege ließ sich von dieser konzentrierten Regiearbeit anstecken, glänzte nahezu auf allen Posten. Simone Young ließ in den verinnerlichten Passagen zwar etwas von jenem pointierten Feinschliff vermissen, der Kent Naganos Lyoner Einspielung auszeichnet. Dem zugkräftigen Drama jedoch, das Poulenc in seine archaisierend-effektsichere Tonsprache kleidete, blieb sie nichts schuldig. Bleibt die Frage, wie der Fauxpas von asynchronem Bild und Ton bei den "Credits" passieren konnte.

Christoph Braun, 25.09.2010


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