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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Johann Sebastian Bach

Violin and Voice

Hilary Hahn, Christine Schäfer, Matthias Goerne, Münchener Kammerorchester, Alexander Liebreich

DG/Universal 477 809-2
(56 Min., 12/2008 u. 4/2009) 1 CD

Es bleibt eines der großen Rätsel der Klassikbranche: Warum ignorieren die Superstars, wenn sie sich mit Bach auseinandersetzen, noch immer so häufig die ansonsten doch allseits längst anerkannte historisierende Aufführungspraxis? Die Geigerin Hilary Hahn liefert mit der vorliegenden Bach-CD das jüngste Beispiel für dieses Phänomen. Laut eigener Auskunft erfüllt sie sich mit dem Programm aus Bacharien und -duetten mit obligater Violinstimme einen seit Kindertagen gehegten Traum: Schon mit vier Jahren war die 1979 geborene Amerikanerin fasziniert von entsprechenden Nummern aus Oratorien und Kantaten. Wenn es nun auch im heimatlichen Lexington (Virginia) vielleicht nicht gerade die Aufnahmen Harnoncourts oder des jungen Andrew Parrott waren, die sich auf dem elterlichen Plattenteller drehten – mittlerweile hätte die hochintelligente, fließend Deutsch sprechende Künstlerin doch wahrlich Gelegenheit gehabt, sich zumindest elementar mit den theoretischen und praktischen Erkenntnissen über die barocke musikalische Rhetorik auseinanderzusetzen. Aber nein: Ihr technisch und klanglich für sich genommen freilich höchst vollkommenes Spiel klingt so, als sei sie noch bei Karl Richter in die Lehre gegangen oder habe Bach-Interpretationskurse bei Henryk Szeryng belegt: Ein süßliches Dauervibrato durchzieht alle Stücke vom Anfang bis zum Ende, und ein die sprachgenerierten musikalischen Gesten vollkommen ignorierendes Legato ist die artikulatorische Grundhaltung.
Für diese Art der Bachdarbietung hat sich Hilary Hahn zwei sehr flexible Gesangssolisten an die Seite geholt: Christine Schäfer, die schon in den Bachproduktionen des späten Harnoncourt einen zweifelhaften Eindruck hinterließ, schiebt und pflügt zumeist ohne Rücksicht auf die Diktion durch ihre Kantilenen, als sei sie eine Oboe in einer Schumannromanze. Ein wenig engagierter in Sachen Sprache als Frau Schäfer, aber hinsichtlich der Phrasierung auch ohne Punkt und Komma schmeichelt sich Matthias Goerne durch Arien und Duette, dabei immerhin häufig beträchtlichen Schönklang entfaltend – aber an Letzterem mangelt es ja auf dieser CD ohnehin nicht. Kopfschütteln provoziert vielmehr das konsequente Ausblenden aller interpretatorischen Aspekte, die heute bei der Umsetzung der Musik des ja doch unzweifelhaft im barocken Idiom verwurzelten Bach eigentlich Standard sind. Diese CD ist ein Museum der Interpretationsgeschichte. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus.

Michael Wersin, 20.03.2010


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