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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Dass man das "Stabat Mater" von Pergolesi im Jahre 1979 – und unter Leitung von Claudio Abbado – nicht in historisierender Aufführungspraxis kredenzt bekam, ist klar. Aber dass zwei seinerzeit berühmte Sängerinnen, beide im 34. Lenz und damit vermeintlich auch in der Blüte ihres Könnens stehend, so kruden und unausgereiften Gesang abliefern, darüber darf man sich schon wundern. Man lernt durch die Nahaufnahmen auf dieser DVD sehr viel über die Prioritäten, die man als Opernsänger offenbar zu setzten bereit ist, wenn es um die Klangproduktion geht: Der Text zum Beispiel fällt als erstes aus. In ihrer ersten Soloarie verzichtet Katia Ricciarelli schlichtweg auf sämtliche Endkonsonanten: "Cujus anima(m) gemente(m), contristata(m) et dolente(m)..." singt sie mehrfach deutlich hör- und vor allem sichtbar, weil es ihr offenbar allzu unbequem ist, an den Wortenden den für das "m" nötigen Lippenschluss zu erzeugen. Pergolesis Arien und Duette sind für Frau Ricciarelli, die agile und koloraturensichere Belcantistin, doch allenfalls bessere Einsingübungen, möchte man vermuten – aber so ist es nicht: Wie viele Töne sind hier unsauber, wie viele Pianolinien bröseln ab, bei wie vielen Sprüngen kracht es im Gebälk. Etwas souveräner meistert Lucia Valentini Terrani ihre Kantilenen, aber ihr passiert es, dass sie im Piano zu tief singt – ein Anfängerfehler, sollte man meinen. Außerdem vernebelt ein Dauervibrato viele Feinheiten der Musik: Tremoliert sie noch, oder trillert sie schon (?), fragt man sich gelegentlich.
So unvollkommen wie der Gesang kann das Spiel des Orchesters kaum sein. Freilich, auch hier wird vergleichsweise kräftig vibriert, aber doch oft auch schon recht differenziert und feinsinnig gestaltet, unter Claudio Abbados sensibel-engagierter Stabführung versteht sich. Aber die eigentliche Krux des Ganzen sind die Sängerinnen: Man kann nur den Kopf darüber schütteln, wie man diese Musik noch vor 40 Jahren auf höchster Ebene dahingemetzelt hat, wahrscheinlich noch in der Überzeugung, eine großartig gelungene Aufführung geboten zu haben. Ein historisches Dokument, fürwahr.

Michael Wersin, 09.05.2009


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