RCA/BMG 09026 63259 2
(61 Min., 8/1998) 1 CD
Jewgenij Kissin, mittlerweile siebenundzwanzig Jahre alt und längst zur Weltelite zählend, will nun offenbar endgültig sein Wunderkind-Image, das hartnäckig an ihm haftet, abstreifen. Denn der bislang eher als robuster Virtuose geschätzte Moskauer schlüpft in diesem Chopin-Recital in die neue Rolle eines schmachtenden, rhapsodisch wuchernden Romantikers und entfacht vor allem in den (für Chopin so entscheidenden) Balladen einen hochpathetischen Wortschwall und pflegt eine derart freie Deklamations-Rhetorik, daß man sich mehr als einmal an die in ihrer Ichbezogenheit ähnlich exzentrischen Chopin-Dramaturgien Ivo Pogorelichs erinnert fühlt.
Gleichwohl unterscheidet sich Kissin von Pogorelich durch seine eindeutig härtere und wildere Gangart: Die Verzweiflungsausbrüche in der zweiten und dritten Ballade geraten stählern und unerbittlich, in den langsamen lyrischen Passagen (etwa zu Beginn der g-Moll-Ballade) bröckelt die Linie in ein fast depressives, müde schweifendes Rubato ab. Bei aller Stilsicherheit und perfekten Virtuosität stört mich der etwas demonstrative Gestus Kissins, der seine hochdramatischen Aktionen immer wieder in die Nähe des Theatralisch-Spektakulären rückt. Trotzdem: Seine Gestaltungskraft ist beeindruckend.
Attila Csampai, 01.09.2007
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