Philips/Universal 464 677-2
(110 Min., 1961) 2 CDs
Wer die Entwicklungsschübe im Œuvre Beethovens komprimiert und im Zeitraffer erleben will, braucht nicht mehr als zwei knappe Stunden, zwei CDs, ein Klavier, ein Cello. Und Swjatoslaw Richter und Mstislaw Rostropowitsch. Bei Beethoven gehen die beiden Instrumente mal kontaktfreudig Hand in Hand, mal konfliktfreudig aufeinander los. Sie bündeln mal ihre anmutigen Kantilenen, mal ihre draufgängerischen Energien. Oder sie suchen ihre Einfälle und Einsätze asymmetrisch, zeitversetzt, so zusagen “auf Lücke”, um sich dann wieder in die Arme zu fallen. Beethoven auf drei Stufen: in zwei Sonaten der “junge”, der auszieht, die Welt zu begeistern und sie das Fürchten zu lehren; in einer Sonate der “mittlere”, der aus der Fülle der Reife, aus der Erfahrung dreier “Fidelio”-Bearbeitungen und der Spannweite von 5. und 6. Sinfonie schöpft; in den zwei letzten Sonaten schließlich der “späte”, der ertaubende Tüftler mit den konzentrierenden Kürzeln und harten Fügungen, der die Melodik nur noch wie im Zitat dosiert und sein Duo in die Tour de force einer Schlussfuge hineintreibt.
Richter und Rostropowitsch: im Aufnahmejahr 1961 war der eine 46, der andere 34 Jahre alt. Auratisch verklärte Legenden über alle konventionellen Messwerte hinaus waren sie damals schon. Auch bereits zu große Musiker und Persönlichkeiten, als dass sie zwei solche Dimensionen in einer hätten aufgehen lassen? Beethoven, wäre er den beiden begegnet, wie er einst, am Berliner Hof Friedrich Wilhelms II., dem inspirierenden Cello-Genie Duport begegnete - er hätte wohl nichts anderes mehr getan als Klavier-Cello-Sonaten zu schreiben. Manchmal, beim privaten Musizieren, haben die Freunde Richter und Rostropowitsch die Instrumente getauscht, so fein waren ihre Codes aufeinander abgestimmt. Richter allerdings räumte ein, er habe sich am Cello nicht ganz so wohl gefühlt wie Rostropowitsch am Klavier. Einmal in Beethovens Sonaten lassen sie ihrem Übermut freien Lauf, das Rondo in Nr. 2 nehmen sie so aberwitzig schnell, also wollten sie beweisen: Bei uns ist auch das Unmögliche möglich. Was ihnen ohne weiteres gelingt - aber auch in allen anderen Sätzen und bei weniger exzessiver Gangart.
Karl Dietrich Gräwe, 01.09.2007
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