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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Anton Bruckner

Sinfonie Nr. 4 ("Romantische")

Berliner Philharmoniker, Simon Rattle

EMI 384 723-2
(71 Min., 10/2006) 1 CD

Anton Bruckner selbst hat angeblich gegenüber einem Freund ein romantisches Szenario als Programm für den 1. Satz seiner vierten Sinfonie entworfen (eine mittelalterliche Stadt, die am Morgen erwacht; Hörnerklang, der den neuen Tag ankündigt etc.) und damit zur Etablierung des Titels "Romantische" beigetragen; wie vorsichtig man mit Bruckners programmatischen Äußerungen jedoch umzugehen hat, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass er selbst im Zusammenhang mit dem langsamen zweiten Satz dieser Sinfonie von einem Burschen, der fensterln geht und abgewiesen wird, gesprochen haben soll – dieses Bild will doch auf die Musik so gar nicht passen, es kann sich nur um einen Scherz des Komponisten handeln.       Simon Rattle beschreitet mit den klanglich hervorragend aufgestellten, höchst diszipliniert musizierenden Berliner Philharmonikern einen im Sinne von Bruckners "Programm" zum ersten Satz (Mittelalterliche Stadt, Hörnerklang etc.) sehr "romantischen" Weg durch die Partitur der Vierten: Schon am Beginn des ersten Satzes fasziniert die Homogenität des akustischen Erscheinungsbilds ebenso wie der edle, reine Wohllaut aller Register des Orchesters; schlackenfrei strömt die Musik dahin, dass es eine wahre Freude ist: Was will man mehr?  
Man kann durchaus mehr wollen. Ein Vergleich mit Eugen Jochums Einspielung von 1966 (übrigens am Pult desselben Orchesters) lässt aufhorchen: Schon am Beginn des ersten Satzes bringt Jochum die Streichertremoli weitaus stärker zum Flirren und Flattern, eine hier noch halb verborgene Unruhe beginnt im Untergrund bereits zu drängen. Weitaus leidenschaftlicher und in der Ausgestaltung jeder Phrase, ja oftmals jedes Tones wesentlich intensiver als Rattle gestaltet Jochum dann den gesamten ersten Themenkomplex und lässt im Anschluss daran auch das lyrische zweite Thema nicht nur elysisch dahinsingen, sondern arbeitet seine innere Dynamik im Zusammenspiel zwischen den einzelnen Ebenen des Satzes effektvoll heraus. Ähnliches ist nicht nur im zweiten Satz der Sinfonie (der bei Rattles entspanntem, gelegentlich gar spannungslosem Duktus streckenweise zu zerfallen droht), sondern besonders auch im jagdmusikinspirierten Scherzo zu erleben: Mit welch vornehmer Zurückhaltung lässt Rattle die erste große Steigerung diese Satzes musizieren, und welches Feuer entfacht dagegen Jochum! Was bei Rattle insgesamt nur ungenügend zur Geltung kommt, ist die rückhaltlos exstatische Komponente in Bruckners Musik, ist außerdem das gewaltige Konfliktpotential, das in seinen Themen angelegt ist und immer wieder zur Explosion gebracht wird. Bruckners sinfonische Szenarien entfalten sich im Aufbrausen und Aufeinanderprallen, im Auftürmen und Übersteigern; sie zeugen von dramatischen, oft schmerzvollen Prozessen des Werdens und Entwickelns. Davon zeugt Rattles gediegene Interpretation nicht allzu sehr.

, 01.09.2007


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