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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Diverse

Soloklavierwerke (bisher unveröffentlichte Aufnahmen von 1933 - 47)

Walter Gieseking

Music & Arts/Note 1 0 17685 10702 3
(1933 - 1947) 4 CDs

Der 8. April 1947 mag kein optimaler Tag für Walter Gieseking gewesen sein. Wenn er sich fit fühlte, war seine Technik atemberaubend und unfehlbar. An diesem Apriltag aber machte er Fehler. Die Repetitionen in Ravels "Alborada" hakten, mancher Ton saß daneben. Aber dann spielte er "Ondine", und die Leuchtkraft und Transparenz seiner Töne, auch die fast perverse Geschmeidigkeit dieser pianistischen Nixengestalt erheben diesen Mitschnitt sogar noch über Giesekings beiden Studio-Aufnahmen. Man hört den Pianisten lustvoll Schnaufen beim Arbeiten, hört das Raspeln von Fingernägeln auf Elfenbein. Auch das kannte ich noch von keiner Giesking-Aufnahme. Näher waren wir noch nie bei ihm.
Am gleichen Tag spielte er noch Skrjabins neunte Sonate. Der Beginn ist von einer gespenstischen Entrücktheit, die matten Tönungen der Pianissimo-Akkorde sind eine pianistisch unübertrefflich subtile Umsetzung der koloristischen "Ondine"-Zauberei ins reichschattierte grau-in-grau. In den infernalisch kreisenden Piu-vivo-Takten kurz vor Ende steigert sich Gieseking dann in eine Wut, beschleunigt über die Grenzen des Darstellbaren hinaus, sein Spiel explodiert förmlich in einem transästhetischen, schockierenden Paroxysmus, der alle Lügen straft, die in Gieseking nur den gelassenen Bewohner lateinisch blauer Himmel sehen. Die Raserei dieser Skrjabin-Deutung zeigt uns die entfesselte Seite dieses Jahrhundert-Pianisten.
Drei Tage später war er gelassenerer Stimmung, denn Mendelssohns "Rondo Capriccioso" zieht in so quecksilbrig rinnender Perfektion vorbei, dass man ungläubig die Wiederholungstaste drückt, um es noch einmal anzuhören. Und im Oktober 1945 spielte der die "Mondscheinsonate" mit eisiger Distanz im Adagio und vor allem einer schroffen Brutalität im Finale, absurd perfekt vorbeiratternd. Auch ein Gulda konnte stählerner nicht zupacken.
Ich könnte seitenlang fortfahren, die Wunder dieser 4-CD-Box zu preisen. Gelegenheit dazu werde ich zum Glück noch öfter haben, denn das amerikanische Label Music & Arts beginnt mit dieser Veröffentlichung eine Reihe, in denen aus deutschen Rundfunkarchiven gehobene Schätze vorgestellt werden. Warum müssen uns eigentlich erst Amerikaner darauf stoßen, welche vergessenen Wunder dort warten?

Matthias Kornemann, 01.09.2007


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