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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Das Beste an dieser Live-Aufnahme einer Götz-Friedrich-Inszenierung aus der Stockholmer Oper ist das Dirigat. Bei aller geforderten analytischen Auffächerung des orchestralen Geflechts vernachlässigt Leif Segerstam nicht die durchaus einkomponierte Rückschau auf die Welt der Spätromantik im Allgemeinen und Mahlers im Besonderen. Überzeugend gelingen ihm vor allem die Passagen beinahe kammermusikalischer Intimität, etwa die letzte Szene von Marie und Wozzeck im dritten Akt, und auch die Abschiedstragik des letzten Zwischenspiels findet angemessenen Ausdruck.
Anders als Ingo Metzmacher (EMI - siehe Rezension) unterspielt Segerstam nicht das Leidenspathos, die zutiefst humanistische Aussage der Partitur, und das Orchester folgt seinen Intentionen mit Aufmerksamkeit und unbedingter Identifikation mit der hochemotionalen Tonsprache Bergs.
Auch die Sängerbesetzung weiß, zumindest in Teilen, zu überzeugen. Carl Johan Falkmans Wozzeck ist nicht der etwas stumpsinnige Naivling, der sich nicht zu wehren weiß. Unterschwellige Aggression und wütende Verzweiflung sind von Anfang an Teil seines Charakters. Er ist weniger Opfer der Umstände als vielmehr seiner eigenen Zwänge und Triebe. Vielleicht klingt Falkmans Stimme ein wenig zu rau und abgebrüht für diese Figur; seine Angstvorstellungen nimmt man ihm nicht immer ab.
Wozzecks Peiniger, der Hauptmann und der Doktor, entbehren jeglicher Dämonisierung; es sind zwei Spießer, die mit Wozzeck ihre Spielchen und Späße treiben, weil sie sich so etwas in ihrem eigenen Umkreis nicht erlauben können. Ulrik Qvale bietet als hysterisch-weinerlicher Hauptmann beinahe eine Glanzleistung, gegen die Sten Wahlunds brummiger Doktor blass bleibt, ebenso wie Lennart Stregard, der den angeberischen Tamboumajor mit nicht genügend pseudo-virilem Pomp ausstattet. Katarina Dalaymans Marie hingegen wirkt in ihrem Schwanken zwischen Leidenschaft, Demut und Koketterie in jedem Moment glaubwürdig. Die deutsche Aussprache der Sänger ist zufriedenstellend, jedoch keinesfalls hundertprozentig idiomatisch.
Folgen der Live-Situation sind der etwas enge Klang, der aus dem Orchestergraben tönt, sowie das andauernde Getrappel auf der Bühne, das nicht nur die letzten Noten des zweiten Akts übertönt. Alles in allem eine durchaus imponierende Produktion, die jedoch nicht an Referenzaufnahmen, etwa die von Claudio Abbado (DG) heranreicht.

Thomas Schulz, 01.09.2007


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