So kann man es auch sagen: "Die klassische Musik", sprach der klassisch ausgebildete Konzertpianist William Joel, "war für mich immer das Mädchen von nebenan. Ich hab' sie sitzen lassen und brannte durch mit dem Rock 'n' Roll, dieser Frau mit den zerrissenen Netzstrümpfen und den hohen Absätzen."
Es kam, wie's kommen musste - nach über dreißig Jahren Affäre mit dem Rock erkennt der Gereifte: "Jetzt liebe ich das Mädchen von nebenan." Und bei solch bildkräftigen Vergleichen kitzelt sich die Frage ein: Wie sieht's aus mit der Gegenliebe? Nun, Billy Joels "Klassik" ist dominant 19. Jahrhundert, diese Walzer, Träumereien oder Monologe fischen in etwa bei Chopin, Brahms, Schumann, mit der einen oder andern Kessheit à la Satie. Da findet sich nirgendwo ein Riss in der Wand - lediglich ein Turm säuberlich gefalteter Taschentücher.
Nein, an Billy Joel ist kein großer Komponist des 19. Jahrhunderts verloren gegangen. Andererseits muss man sich fragen, ob diese CD nicht, weil sie nun mal unter solcher Flagge segelt, junge Leute anspricht und eventuell für Chopin-Schumann-Brahms "aufschließt", die sich ohne derlei Initialzündung nie etwas von Chopin-Schumann-Brahms anhören würden? Und sich möglicherweise ihr kleines Stückchen "Klassik" lieber bei Clayderman, Rieu, Bocelli suchen würden oder einer anderen, noch zu entdeckenden Krankheit?
In diesem Lichte betrachtet, ist Billy Joels Anstrengung aller Ehren wert und möglicherweise sogar wichtig - zumal sie von Richard Joo sehr souverän und lebhaft gespielt wird sowie an "heiliger Stätte" plastisch aufgenommen wurde: im Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses.

Thomas Rübenacker, 01.09.2007

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