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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Vincent d’Indy

Die drei Streichquartette, Streichsextett

Joachim-Quartett

Calliope/Harmonia Mundi Cal 9891.2
(2001) 2 CDs

Wie er "seinen" Beethoven sah, darüber ließ Vincent d'Indy, Gründervater der Pariser Schola Cantorum, in seinen berühmten Kursen über dessen Streichquartette keine Zweifel aufkommen. Unter den frühen Quartetten seien "keine Meisterwerke", und der überschäumend-erlöste Dur-Schluss des "quartetto serioso" (op. 95) sei "uninteressant und völlig nutzlos". Dem Beethovenschen Humor entzog sich der kunstpriesterliche Aristokrat. Schweigend sei einzutreten ins eisige Heiligtum des Spätwerkes.
In dessen dünner Luft kultivierte d´Indy die Strukturgedanken seiner ersten beiden Quartette, den gelehrtesten Beethoven-Huldigungen der Musikgeschichte. Besessen vom Vierton-Motto des Beethovenschen Opus 132 ließ er beide Werke ganz aus einer solchen abstrakten Keimzelle hervortreten. Interpreten müssen etwas tun, damit dieser motivische Same aufgeht, sonst bleiben diese Kompositionen verdorrtes kontrapunktisches Gehölz.
Das junge französische Joachim-Quartett scheint bei seiner Entdeckung selbst zu staunen über die Wunder thematischer Metamorphose, über das herrliche Thema des langsamen Satzes oder das folkloristische Motiv des Scherzo. All dies wächst aus einer Zelle! Und sie sind klug genug, es bei sparsamem Vibrato, allenfalls ein paar sachten Portamenti zu belassen, anstatt diese konstruiert-intellektuellen Schöpfungen in den spätromantisch gesättigten Treibhaus-Tonfall eines Chausson oder Fauré zu rücken, was sich der Graf auch verbeten hätte. Stilistisch folgen die Joachims mit dieser klanglich behutsamen Belebung des Zerebralstils den Bahnen des Kodály-Quartetts (Marco Polo). Deren Pionieredition darf nicht unerwähnt bleiben.
Mit achtundsechzig heiratete d´Indy unter seinem Stand, brach mit der Familie und durchlebte eine eigenartige Stilumkehr. Die Fäden strenger Kontrapunktik, deren unerbittlicher Gebieter er einst war, scheinen sich zu lockern, die Satzgewebe werden luftiger. Mit dem dritten Quartett und einem Sextett tritt er aus dem Schatten seines riesigen Beethoven-Denkmals ins Licht des jugendlichsten aller Spätstile. Ein Nachsommer.
Hingebungsvoll musiziert und mit einem ausgesprochen klugen Text versehen (und liebevoll gestaltet, wie es sich gehört für einen Aristokraten) wartet mit dieser Neuerscheinung große Musik auf Hörer, die furchtlos eindringen in Gebilde, hinter deren geistiger Strenge, wenn man nur geduldig bleibt, eine kostbare, schwer faßbare Schönheit liegt.

Matthias Kornemann, 01.09.2007


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