Warum kennt hierzulande niemand Martin Roscoe? Außer der Information, dass er einer der am meisten beschäftigten Pianisten Großbritanniens sei, weiß das Beiheft wenig über ihn mitzuteilen. Dabei hätte Roscoe es verdient, auch bei uns etwas bekannter zu werden, denn seine Interpretationen der Klavierwerke Karol Szymanowkis können nur kongenial genannt werden. Diese Musik erfordert ein enormes Ausdrucksspektrum, sie spricht, besonders bei den auf dieser CD vorgestellten Kompositionen von Werk zu Werk eine andere Sprache.
Gehören die Erste Sonate sowie Präludium und Fuge in cis-Moll noch eindeutig in die Welt der Spätromantik, in der Chopin und Skrjabin Brüderschaft trinken, nachdem sie gemeinsam regersche Kontrapunktik studiert haben, findet sich in den Etüden der für Szymanowskis Musik dieser Zeit typische Farbenrausch – fieberhaft, exotisch, erotisch, stets an der Grenze der Tonalität. In den späten Mazurken und den Vier polnischen Tänzen präsentiert sich Szymanowskis Stil des Komponisten dann wesentlich herber, die Ausdrucksmöglichkeiten der heimischen Folklore erkundend, hierin Bartók verwandt.
Martin Roscoe fühlt sich in allen Fassetten der Klangsprache Szymanowskis gleichermaßen zu Hause, trifft den Gradus-ad-Parnassum-Tonfall der Schlussfuge der Ersten Sonate ebenso wie die kantige Melancholie der Mazurken. Doch die Etüden markieren die Sternstunde dieser Einspielung: Wie Roscoe es hier schafft, die schmetterlingshaften Wandlungen der Musik genauestens einzufangen, und wie er dabei den Eindruck vermittelt, er selbst habe diese Klänge soeben erst erfunden, improvisiert, das ist schon genial – ebenso wie seine stupende Technik – und lässt ihn über Martin Jones' mehr als achtbare Interpretation (in dessen Szymanowski-Gesamteinspielung bei Nimbus) den Sieg davontragen.

Thomas Schulz, 01.09.2007

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