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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Footsteps Of Our Fathers

Branford Marsalis

Marsalis Music/In-Akustik MARCD 3301
(67 Min., 12/2001) 1 CD

Sympathisch: Sobald das Lukrative das Kreative bedroht, springt er vom Wagen ab. Branford Marsalis, der einst der populären "Tonight Show" den Rücken zukehrte, hat nun nach zwanzig Jahren Zusammenarbeit mit Columbia sein eigenes Label gegründet. Grund ist die zunehmende Enttäuschung über die immer manipulativer gewordenen großen Firmen, die auch Jazz nach Pop-Kritierien vermarkten wollen. Als erste Produktion für "Marsalis Music" liegt nun "Footsteps Of Our Fathers" vor. Klar, dass das Unternehmen mit einem Paukenschlag eröffnet werden soll.
Entdeckt man unter den vier Titeln des Albums Sonny Rollins' "The Freedom Suite" und John Coltranes "A Love Supreme", schluckt man zuerst einmal. Ist Branford Marsalis größenwahnsinnig geworden? Doch dann verscheucht man den spielverderberischen Gedanken. Natürlich kann er das spielen - technisch, moralisch und rechtlich einwandfrei. Und warum auch nicht? Rollins' "St. Thomas" und Coltranes "Giant Steps" werden ja auch als Standards tagtäglich heruntergenudelt, von weiß Gott Unberufeneren allenthalben massakriert.
Dass die großen Werke der Großen (trotz gelegentlicher Interpretationen) bislang keine Standards wurden, hatte nicht nur etwas mit deren Länge zu tun. Das Bewusstsein der Einzigartig-, Unnachahmlich- und Unüberbietbarkeit dieser Leistungen trägt wohl jeder Jazzer mit halbwegs ausgeprägtem Geschichtsbewusstsein mit sich herum. Vielleicht wäre es sogar eine Enttäuschung, wenn Rollins persönlich, die "Freedom Suite" noch einmal einspielte?
Von solchen Vorüberlegungen müsste man sich freistrampeln, um Branford Marsalis mit seinem Quartett - Joey Calderazzo (Klavier), Eric Stevens (Bass), Jeff "Tain" Watts (Schlagzeug) - eine großartige Leistung bescheinigen zu können, handelt es sich doch zweifellos um erstklassigen Jazz. Doch Branford Marsalis macht es uns schwer, da seine Interpretationen keine sonderlich freien Bearbeitungen sind, sondern den Originalen so nahe stehen, dass man sie vielleicht zwei, drei Mal mit größter Hochachtung hört, um in der Zukunft doch wieder nur die Originale aus dem Regal zu ziehen.
Es ringt einem Respekt ab, wie Marsalis seinen Sound einmal dem von Rollins, dann dem von Coltrane annähert (man hört, dass er sich seit einem Jahrzehnt damit beschäftigt), ja jeweils zu einer Mischung aus sich selbst und dem Übervater wird. Die haben aber seinerzeit wie um ihr Leben gespielt; bei Marsalis ist diese Dringlichkeit verloren gegangen. Doch die knorrige Souveränität von Rollins, die ekstatische Besessenheit Coltranes und beider Originalität ist durch solch treuen Nachschöpferdienst nicht zu ersetzen. Dabei ist Marsalis Ausdruckskraft so enorm, dass man dies nicht merken würde, hätte er sich nur anderes Repertoire vorgenommen.
Mit den beiden kurzen Stücken von Ornette Coleman und John Lewis ist es ein anderer Fall. Hier verhindert allein schon die Instrumentierung und die entferntere stilistische "Baustelle" einen allzu direkten Vergleich mit den Klassikern. Freilich bleibt es jedem Regisseur unbenommen, den "Dritten Mann" neu zu erzählen. Doch wer braucht so etwas? Im Jazz ist die Antwort darauf leicht: Nicht der CD-Käufer, sondern ein Konzert-Publikum, das Coltrane nicht mehr erleben kann. (Und lebte er, er spielte wohl inzwischen etwas ganz anderes.)
Im Konzert ist Branford Marsalis mit "A Love Supreme" ein Hochgenuss. Da kann man froh sein, dass es jemanden wie ihn gibt, der es uns auf diesem Niveau darreichen kann. Immerhin: Wer die Originale nicht kennt, dürfte auch mit dem Album eine selige Stunde verleben.

Marcus A. Woelfle, 01.09.2007


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