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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Always Let Me Go

Keith Jarrett

ECM 5 42413-2
(127 Min., 4/2001) 23 CDs

Keith Jarretts letztes Album dürfte für viele eine Überraschung gewesen sein. "Inside Out" stand für eine Art Neubeginn für ein längst zur Institution gewordenes Trio: Keith Jarrett, Gary Peacock und Jack DeJohnette. Das sogenannte "Standards Trio" spielte frei und Standards-frei! Genau besehen war es kein Neubeginn, sondern im dialektischen Sinn eine Synthese.
Keith Jarretts Solo-Konzerte der siebziger Jahre lebten von der freien Improvisation. Jarretts Idealvorstellung war es, jedes Mal, wenn er sich ans Klavier setze, das Gefühl zu haben, er tue dies zum ersten Mal. Die dabei entstandene Musik schien dann oft weit von den eigentlichen Wurzeln des Jazz entfernt, stand bisweilen europäischer Klaviermusik der Spätromantik, des Impressionismus der frühen Moderne näher, doch in ihrem Bekenntnis zum echten Wagnis der Improvisation war sie reiner Jazz. Das war die These. Das sogenannte Standards Trio brachte die Antithese: Hier wurden die altehrwürdigen Standards zelebriert, die älteren Originals der Jazz-Kollegen wie die Musical- und Film-Songs des Great American Song Books. Die drei verneigten sich vor der Tradition und bewiesen wie unzählige vor ihnen, dass ein Song, so oft er auch gespielt worden ist, nie zu Tode gespielt werden kann, wenn sich frische Geister seiner annehmen.
"Inside Out" und nun in einem viel umfassenderen Sinne die japanischen Konzert-Mitschnitte von "Always Le Me Go" bilden die Synthese, vereinigen sie doch die Tugenden von Jarretts Solo-Konzerten mit denen des Standards Trios. Gerade das mit Standards erprobte, traumwandlerisch sichere Zusammenspiel der drei seit gut zwanzig Jahren bestens aufeinander eingespielten Herren und die dabei erworbene Reife und das gemeinsame Vokabular ermöglichen die wiedergewonnene Freiheit auf einer so sonst nur im Falle von Gedankenlesen möglichen Ebene.
Das in der freien Improvisation entdeckte Neuland ist bisweilen so fremd nicht, und auch gar nicht so weit entfernt von bereits besuchten Inseln im langen Fluss der Jazzgeschichte (Hymnisches in "The River", Boppiges in "Paradox", Bluesiges, Modales...), und doch kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Freiheit und Ordnung, sie scheinen sich zu fliehen, und finden sich doch immer wieder. Wie alles organisch aus sich heraus entsteht und aufs verblüffendste weitergeführt wird, wie die drei eine ganze Welt an Stimmungen an uns vorüberziehen lassen, lange Spannungsbögen durchhalten und dabei einen wunderbaren Sinn für Struktur an den Tag legen, das gehört zu den großen Momenten des Jazz unserer Tage.

Marcus A. Woelfle, 01.09.2007


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