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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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COR

Christian Lillingers Grund

Plaist/Soulfood RJ341
(49 Min.)

Hyperactive Kid, Amok Amor – die Namen der Formationen des Schlagzeugers Christian Lillinger sprechen eine deutliche Sprache. Da geht es um bewusste Überforderung, rasende Ekstase, kindlichen Bewegungsüberschuss und blutende Liebe. Verglichen damit mag „Christian Lillingers Grund“ geradezu geerdet klingen. Doch der Gruppenname, unter dem Lillinger die erste Veröffentlichung auf seinem eigenen Label Plaist herausbringt, sollte nicht als falsches Signal verstanden werden: Seinen intellektuellen Biss und seine erfrischende Irrationalität hat der 2017 mit dem SWR Jazzpreis ausgezeichnete Avantgarde-Trommler keinesfalls eingebüßt.
„COR“ stößt vielmehr dem Albumtitel entsprechend tief in das Herz von Lillingers künstlerischem Schaffen vor. Mit zwei Saxofonen (Pierre Borel, Tobias Delius), Tasten (Achim Kaufmann), Vibrafon (Christopher Dell) und zwei Bassisten (Robert Landfermann, Jonas Westergaard) begibt sich der 33-Jährige in eine Parallelwelt, in der die Gesetze der zeitlichen und räumlichen Organisation neu geschrieben werden.
Dazu verschieben Lillinger und seine musizierenden Co-Mathematiker immer wieder die rhythmischen und klanglichen Raster. Zählzeiten werden beliebig gedehnt und gestaucht, Motive in unterschiedlichen Tempi zerkaut, rundgelutscht und ausgespuckt. Mit Bogen gestrichene Basssaiten, Schlagzeugbecken und Vibrafon-Platten sorgen beispielsweise in „Welt am Draht“ für ein unerhörtes metallisches Sirren, das durch die Hinzunahme eines mit Ringmodulator verfremdeten E-Pianos auch gut als Migräne-Konfrontationstherapie eingesetzt werden könnte.
Auch wenn die vor oder während des improvisierten Aktes komponierten Stücke höchst verschiedene Inspirationsquellen haben (mal die Klangkunst, mal Komponisten wie Iannis Xenakis oder Conlon Nancarrow, mal skurrile Swing-Verweise, mal Dada), so ist ihnen doch eines gemeinsam: eine Aufbruchsstimmung, wie man sie aus den 1960er Jahren kennt. „COR“ ist freilich auch Hardcore. Aber wer sich den hyperaktiv ausgeführten und gleichzeitig kühl gedachten Versuchsanordnungen Lillingers aussetzt, kann Grenzerfahrungen machen wie sonst kaum im Gegenwartsjazz.

Josef Engels, 24.03.2018


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