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Einmal versagt, immer versagt? Wer die neuesten Auftritte des von seiner Stimmkrise frisch genesenen Rolando Villazón persönlich verfolgt, merkt immer wieder: Die Premieren und Ausnahmegastspiele singt der mexikanische Tenor toll – voll im Schmelz und ohne einbehaltene Reserven. Wer aber Repertoirevorstellungen besucht, dem entgeht kaum die Schonung, die sich der Tenor »unter der Woche« auferlegt. »Ich glaube, Rolandos Krise hat uns allen sehr zu denken gegeben«, sagt Anna Netrebko. Die von ihrem Sohn Tiago Aruã eben entbundene Sopranistin machte, wie man seit Längerem weiß, selbst vor vier Jahren eine ähnliche Krise durch. »Ich habe den ganzen Medienrummel nicht verkraftet und war verzweifelt. Mir war nicht klar, wie es weiter gehen würde.«
Erst die drastische Reduktion von Interviewterminen und ein gewandelter Umgang mit der Öffentlichkeit brachte sie von der Absicht ab, ihre Karriere kurzerhand zu beenden. Seitdem – ähnlich wie Thomas Quasthoff, Anne-Sophie Mutter und andere Klassikstars – redet sie allerdings oft und am liebsten über eines: das Aufhören. (Was den Umsatz und den Rummel um ihre Person freilich nur weiter anheizt.) Tatsächlich stimmt am notorischen Vergleich mit Maria Callas, dem Anna Netrebko immer wieder ausgesetzt wird, nur eines: Seit »Maria Assoluta« hat nur sie, Anna Netrebko, es zu einem vergleichbar reißerischen Medienhype gebracht – und zwar auch bei Leuten, die von Netrebkos Kunst eigentlich wenig wissen.
»Ich darf keine schlechte Vorstellung geben«, so bringt Anna Netrebko das Problem ihrer Karriere folgerichtig auf den Punkt. Als während ihrer Schwangerschaft ein akuter Eisenmangel der jungen Frau zu schaffen machte und dazu führte, dass ihr (zehn Minuten vor einer Vorstellung in Wien) die Stimme wegblieb, sah sie sich mitten in einem Albtraum. »Hätte ich die Vorstellung gecancelt, wäre es ein Skandal gewesen«, sagt sie. Wohl wahr. Die Zeiten, wo sie einfach absagen konnte, sind vorbei. Die Folge: Die Netrebko mag die umschwärmteste und attraktivste Sängerin der Gegenwart sein, die tragische Seite ihrer Karriere, der Preis für ihr galoppierendes Superstartum nämlich, lässt sich mit der wirklichen Arbeit immer weniger vereinbaren. »Ich bin nicht Sängerin geworden, um berühmt zu sein«, klagt Anna Netrebko, »sondern um zu singen.« Nun kennen wir die Leiden einer Primadonna recht gut. Neu ist, dass ein Star nicht einzelne Impresarios oder Branchenbedingungen, sondern den Medienbetrieb und die anonymen Gesetze des Marktes als zermürbendes Problem empfindet.
Auf ihrer neuesten CD meldet sich die Sopranistin (die als bekennend sprachfaul gilt) in nicht weniger als zehn Sprachen aus der Babypause zurück. Die Schleckerlust einer werdenden Mutter freilich kann das Album nicht verleugnen. Süß, bunt und fettig wie die pinkfarbenen Punschkrapfen ihrer Wiener Wahlheimat präsentieren sich Netrebkos »Souvenirs«. Gesangskollegen von Anna Netrebko versichern stets, was für eine professionelle, liebenswürdig Netrebko sei. Stimmt auch! Seit dem Durchbruch haftet Netrebko allerdings nicht nur der Glanz eines kometenhaften Aufstiegs, sondern auch die misstrauische Erwartung eines dramatischen Karrieresturzes an. Für den, der vorurteilslos zuhört, ist Anna Netrebko dabei eine meist tadellos singende, ebenso begnadete wie fleißige Künstlerin, die der Klassik zu einem ungeahnten Aufmerksamkeitszuwachs verholfen hat. Auch ohne zu viele Süßigkeiten.
Robert Fraunholzer, 19.04.2014, RONDO Ausgabe 6 / 2008
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