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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Musikstadt

Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg: Die Südwestliga

Mannheim und die Metropolregion Rhein-Neckar möchten 2020 Europäische Kulturhauptstadt werden. Die Musik spielt dabei eine große Rolle. Mit drei Theatern, dem musikalischen Engagement der BASF in Ludwigshafen, zwei Top-Festivals samt seiner historisch gewachsenen Musikkultur ist die Region bestens aufgestellt. Stefan Dettlinger, Kulturchef des Mannheimer Morgen, berichtet.

Klar, die Geschichte drückt, sie überwiegt das Moderne und prägt auf dominante Weise die Gegenwart, aber sie macht auch stolz. Immer noch begegnet man in Mannheim den Spuren von Kurfürst Karl Theodor, denen Schillers, der »Mannheimer Schule« mit ihren Protagonisten Stamitz, Cannabich, Richter, Filtz oder Beck und dem, was der Mannheimer bis heute nicht ganz verschmerzt hat: Wolfgang Amadeus Mozart, der aus der Stadt an Rhein und Neckar maßgebliche musikalische Impulse mit nach Wien nahm, erhielt in der Quadratestadt einst nicht die gewünschte Anstellung am Hofe des Kurfürsten. Und was wäre Mannheim heute, wenn Mozart hier hängengeblieben wäre, wenn er die Sackgasse der vorklassischen »Mannheimer Schule« in die Blüte einer Mannheimer Klassik verwandelt hätte?
Mannheim, nach Meinung einiger Intendanten »eine Stadt, die um ein Theater herum gebaut wurde«, ist unzweifelhaft kulturelles Zentrum der Metropolregion Rhein-Neckar mit ihren rund 2,4 Millionen Einwohnern und den drei Großstädten Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg. Der höchste, bedeutendste und gleichzeitig traditionsreichste Leuchtturm ist das bereits von Karl Theodor gegründete Nationaltheater am Goetheplatz, das größte Vierspartenhaus der Welt und älteste noch aktive kommunale Theater mit rund 400.000 Besuchern pro Jahr. Die Opernsparte brachte in jüngster Vergangenheit dank ihres Operndirektors Klaus- Peter Kehr einige wegweisende Inszenierungen von Achim Freyer (»La Traviata«), Günter Krämer (»Lucio Silla«) oder auch Gregor Horres (»Frau ohne Schatten«) hervor. Doch die Mannheimer Oper begreift sich eigentlich als Repertoiretheater, das bereits vielen jungen Sängern als Sprungbrett diente, die Reihe der Beispiele reicht hier von Jean Cox über Waltraud Meier, Gabriele Schnaut bis hin zu Franz Mazura. Besonders stolz sind die kulturbeflissenen Mannheimer auf ihren »Parsifal«, den ältesten, den es derzeit auf der Welt zu sehen gibt – auch dies spricht Bände über die Bevölkerung und die Sehnsucht nach dem Vergangenen.
Der 1957 von Gerhard Weber errichtete Nationaltheater- Neubau hingegen ist schlicht und erinnert an die Architektur eines Mies van der Rohe. Von hier, dem Goetheplatz, sind es nur ein paar Schritte hinüber zum Kongresszentrum Rosengarten an Friedrichsplatz und Wasserturm. Die modernisierte Jugendstilanlage ist nicht nur musikalisches Zentrum der Stadt, sie dürfte – von außen – auch zum Schönsten gehören, was die Republik in Sachen Konzert- und Kongresshaus zu bieten hat. In der laufenden Saison – der 230. seit Bestehen der mittlerweile etwas ergraut wirkenden »Musikalischen Akademie« – haben wir schon erlebt, wie sehr es heute nicht mehr die »Mannheimer Schule« ist, die dem Klang des heutigen Nationaltheater-Orchesters entgegenkommt, sondern vielmehr die spätromantischen Klangarchitekturen eines Anton Bruckner, dessen dunkle Achte hier von Generalmusikdirektor Friedemann Layer fulminant und emphatisch gegeben wurde.

Reiche Metropolregion!

Früher waren diese »Akademien« kulturelle Höhepunkte. »Heute ist der Wettbewerb enorm«, sagt Rosengarten-Chef Michel Maugé, der das Haus natürlich optimal verkaufen will – und muss. Die Auslastungszahlen der »Akademie« sind zwar noch gut, aber schlechter werdend, wie der Akademie-Vorsitzende Kurt Nagel ungern bestätigt. Das liegt auch daran, dass die Konkurrenz, die sich oft die teureren und hipperen Solisten leisten kann, nicht schläft: Drei weitere Sinfonieorchester- Abo-Zyklen stehen den acht mal zwei Akademiekonzerten gegenüber. Da ist zum einen die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland- Pfalz, ein hoch dotiertes A-Reiseorchester, das weltweit – aber meist in Kurt-Beck-Land – rund 90 Konzerte im Jahr spielt und mit sogenannten »Mannheimer Meisterkonzerten« mehr und mehr rechtsrheinisch Fuß fasst. Zum anderen gastieren die Sinfonieorchester und Chöre des Südwestrundfunks (SWR) mit mittlerweile sieben Abenden im gut klingenden Mozartsaal des Rosengarten (mit 2.400 Sitzplätzen). Und dann sind da die Pro Arte Konzerte, die so werben: »Die Weltelite zu Gast im Rosengarten«. Sol Gabetta, Martin Stadtfeld, Baiba Skride, Daniel Hope, Julia Fischer, David Garrett – das sind Namen der Jungen und Schönen im Weltzirkus Klassik, die ziehen.
In der Liga darunter bewegen sich das Kurpfälzische Kammerorchester, das sich maßgeblich der »Mannheimer Schule« und Vorklassik widmet, und die Gesellschaft für Neue Musik, ein Verein, der auf beachtlichem Niveau drei Zyklen mit zeitgenössischer Musik, Kammermusik und Jungen Talenten anbietet. Eines serviert Mannheim aber nicht: hochkarätige Klavierrezital- und Kammermusik-Zyklen. Doch hier kommt der Gedanke Metropolregion ins Spiel. Denn die »Schwetzinger Festspiele«, der »Heidelberger Frühling« und die umfangreichen Angebote der BASF in Ludwigshafen bedienen auch und vor allem dies. Die Industriestadt Ludwigshafen ist von Mannheim nur eine Rheinüberquerung entfernt. Kommunal wird Kultur hier extrem kleingeschrieben. Doch die BASF engagiert sich und bespielt den Konzertsaal des Feierabendhauses am Rande des Firmenimperiums.
Das hört sich schrecklich an. Ist es aber nicht. Im frisch renovierten Saal (1.400 Plätze) gehen in der aktuellen Saison sieben Zyklen mit fast 60 Veranstaltungen über die Bühne, von »The Big Four« (Gidon Kremer, Albrecht Mayer, Heinrich Schiff, Martha Argerich) über Kammermusik, Sinfoniekonzerte, eine »Bunte Reihe«, Matineen, die Reihe »Junge Pianisten« bis hin zum »Ballettring« und einzelnen Cross-over-Projekten. Den 30.000 Mitarbeitern möchte der Chemieriese damit den Aufenthalt am Wohnort erträglicher machen. Doch dieses Kulturengagement lockt viele Menschen der Region und verdient längst das Prädikat »besonders wertvoll«. Für den kulturinteressierten Mannheimer gibt es zwei Gründe, nach Ludwigshafen zu fahren: die BASF-Konzerte und das rein äußerlich schreckliche Theater im Pfalzbau, wo Intendant Hansgünther Heyme an einem Haus ohne eigenes Ensemble fast schon rührig Großes vollbringt. Neben eigenen, vor allem aber eingeladenen Produktionen, die das Haus mit Leben füllen, gastiert hier auch regelmäßig die Oper aus Kaiserslautern.
Doch ist Heidelberg da interessanter. Die Stadt am Neckar hat nicht nur ein Dreispartenhaus mit eigenen Ensembles. Heidelberg hat auch Deutschlands jüngsten Generalmusikdirektor, Cornelius Meister mit Namen, und eine Theaterleitung, die mit mutigen Produktionen und teilweise ungewöhnlicher Programmatik eine Lücke füllt, die das Nationaltheater Mannheim im Opernbetrieb weitgehend offenlässt: die Hinwendung zur modernen Jugend und zu den jungen Erwachsenen. Ästhetisch jünger, bisweilen trashig, gibt sich das kleinere und damit flexiblere Haus und bringt jedes Jahr auch eine zeitgenössische Oper zur Zweitaufführung. 2008 war es Hans Werner Henzes jüngste Oper »Phaedra«, deren Berliner Erstaufführung 2007 von den Kritikern der Opernwelt zur »Uraufführung des Jahres « gekürt wurde.
Ein junges, begabtes Ensemble hat Operndirektor Bernd Feuchtner beisammen. In Heidelberg ist vieles möglich, weil es keine eingefahrenen Strukturen zu geben scheint, weil die Stadt studentisch und akademisch geprägt ist. Das alte Theatergebäude wird aber am Ende der Saison renoviert. Eine schwierige Zeit, in der man auf Provisorien ausweichen muss, zudem verlässt Operndirektor Bernd Feuchtner das Haus gen Salzburg. Natürlich spielt das Theaterorchester unter dem Namen »Heidelberger Philharmoniker « auch Philharmonische Konzerte, und da steht schon auch mal Olivier Messiaens »Turangalîla «-Sinfonie auf dem Programm, die man freilich nur mit quantitativer Verstärkung von außen stemmen kann. Reiche Metropolregion also! Einen Grund zu klagen gibt es daher nicht, auch wenn die Sache mit Mozart damals hätte besser laufen können.

Stefan Dettlinger, 12.04.2014, RONDO Ausgabe 1 / 2009



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