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N° 1354
20. - 28.04.2024

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am 27.04.2024



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GLOR Classics

Klingendes Orchideenfach

Wer ein neues Klassiklabel auf die Beine stellen will, braucht nicht nur eine gute Portion Optimismus, unternehmerische Kreativität und starke Nerven – er braucht vor allem ein überzeugendes Konzept und künstlerisches Potenzial. Mit einem außergewöhnlichen Repertoire und Künstlern wie Michael Gielen, Sylvain Cambreling und Joshard Daus geht jetzt das Label GLOR Classics an den Start.

Draußen vor dem altehrwürdigen Hans-Rosbaud-Studio des SWR, auf dem Fremersberg in Baden-Baden, herrscht ein beinahe babylonisches Stimmengewirr. Gesangsstudenten aus allen Ecken der Welt trotzen mit Kaffeebechern bewaffnet der Kälte und warten darauf, dass es weitergeht mit den Aufnahmen für eine Weihnachts-CD, die 2009 unter dem Label GLOR Classics herauskommen soll. Drinnen signalisiert eine Anzeigetafel durch »Ruhe – Aufnahme«, dass Joshard Daus noch beschäftigt ist mit seinen Solisten für Mendelssohns »Christus«-Fragment. Später beim Abhören in der Regie studiert der Lehrer und Dirigent der »EuropaChorAkademie« den Notentext zusammen mit der Tonmeisterin, findet Verbesserungswürdiges, lobt aber ebenso einen jungen slowakischen Bassisten für dessen akzentfreie Artikulation.
In der Mittagspause schwärmt Daus dann vom Farbenreichtum der 20 Sprachen, die sein Chor alleine an diesem Tag in einer relativ kleinen Besetzung versammle. Der gebürtige Hamburger gründete den studentischen Klangkörper 1997 und widmet sich mit diesem vornehmlich der europäischen Chorsinfonik. Künstlerisch geprägt habe ihn vor allem seine Zeit als Chordirektor bei den Münchner Philharmonikern in den frühen Neunzigerjahren, namentlich die Zusammenarbeit mit Sergiu Celibidache. Nun ist es der »künstlerisch seelenverwandte« Franzose Sylvain Cambreling, der mit ihm im blutjungen GLOR-Klassikkatalog eine zentrale Rolle einnimmt. Der Chef der SWR-Sinfoniker bildet die künstlerische Achse zusammen mit Daus und seinem Chor. Dieser sieht auch für die Zukunft die Kooperation mit Klangkörpern der Rundfunkanstalten als eine Säule der Firmenpolitik. Die Repertoireentwicklung bestimmt Joshard Daus maßgeblich mit, der 61-Jährige ist nicht nur zentraler Interpret, sondern auch künstlerischer Berater. Ein Blick in den Katalog zeigt, dass neben Repertoirestandard durchaus auch auf Ausgefalleneres gesetzt wird. Die unweigerlich folgende Frage, ob man mit dem Konzept aufwendig produzierter Tonträger – eine Bonus-DVD ist Standard – mit bedingt mehrheitsfähigem Inhalt nicht bald in Schönheit zu sterben drohe, wird von GLOR in zwei Sprachen beantwortet. Zum einen ist es der Künstler und Pädagoge Joshard Daus, der sich offen zu einer elitären Ausrichtung bekennt: »Ich glaube, dass wir ohnehin nur eine kleine Zielgruppe haben, und die müssen wir mit höchstmöglicher Qualität und auch mit umfassender Information ansprechen. Eines unserer Ziele ist es, als erstes das Feld der Romantik – insbesondere der romantischen Chormusik – langfristig und umfassend zu beleuchten. Außerdem wird es ein universitäres Forschungsprojekt zur Romantik in Europa am Beispiel der Chormusik geben. Das dokumentieren wir mit CD-Einspielungen, und ein begleitendes Filmprojekt, quasi ein ›Rhythm is it!‹ für Chor, ist auch geplant.«
Soviel zur Schönheit, bleibt die Frage nach der Überlebensfähigkeit. Hier geht GLOR weniger idealistisch und schon gar nicht so blauäugig vor. Man finanziert die Projekte über einen Investmentfonds, wobei hier der Reiz für den Anleger in der Nähe zum künstlerischen Produkt liegen könnte, der bei den marktführenden börsennotierten Mischkonzernen längst verflogen ist. Ein Orchideenfach für kühle Rechner. Dagegen hat auch Joshard Daus nichts einzuwenden: »Gerade in stressreichen Berufen, zum Beispiel in der Wirtschaft, gibt es eine kleine, anspruchsvolle Gruppe von Menschen, die ohne Musik und Kunst nicht leben können. Genau die wollen wir erreichen.«

Infos und Repertoire:

www.glor-classics.de

Tilman Stamer, 12.04.2014, RONDO Ausgabe 1 / 2009



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