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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Tim Schober/Sony

Klaus Florian Vogt

Das Schweigen der Carmen Nebel

Mit „Favorites“ stößt der Tenor in neues und zugleich altvertrautes Terrain vor. Berührungsangst kennt er nicht. Ein Gespräch über Operetten, Wagner und Volksmusik.

RONDO: Herr Vogt, liegt die Operette tatsächlich im Trend – oder wie kommt es zu Ihrem neuen Album?

Klaus Florian Vogt: Ich gehe eigentlich nicht nach Trends. Bei mir sind Operette und Musical einfach die Rückkehr zu meinen gesanglichen Wurzeln. Wäre es nach mir gegangen, dann hätte schon mein erstes Album Lieder von Lehár, Kálmán und Robert Stolz enthalten.

RONDO: Geht es denn nicht nach Ihnen?

Vogt: Jetzt schon. Ich habe all meine Lieblingstitel ausgesucht, einschließlich Musical mit „West Side Story“, „Les Misérables“ und „Phantom der Oper“. Schöne Titel, aber schwer zu singen. Bei „Bring Him Home“ singt man die ganze Zeit in einer unangenehmen Übergangslage. Und zwar leise! Transponieren gilt auch nicht. Da kann ich sämtliche Kräfte brauchen, die ich bei Wagner gesammelt habe.

RONDO: Kommen Sie tatsächlich von der Operette her? Wo haben Sie das gesungen?

Vogt: Schon im Studium. Mein erster Lehrer Günter Binge erkannte, dass es bei mir ins dramatische Fach geht. Um damit nicht direkt loszulegen, gab er mir Operette. Während des Studiums sind wir buchstäblich durch die Altenstifte und Seniorenresidenzen an der Ostsee gezogen: Travemünde, Timmendorfer Strand, Eutin. Auch mein erster Versuch als Darsteller war in „Gräfin Mariza“, auf einer Freilichtbühne in Lübeck. In Flensburg dann „Zarewitsch“ und Graf Zedlau in „Wiener Blut“. Was wollen Sie mehr?

RONDO: In welchem Sinne hat Ihnen das genützt?

Vogt: Ich habe mich freispielen können. Sie müssen bedenken, dass man am Stadttheater jedes Mal 25 Vorstellungen davon sang. Der „Bettelstudent“ hat mich eine Weile regelrecht verfolgt.

RONDO: Man könnte sagen: Sie sind doch gar nicht so eine Schmalzbacke!?

Vogt: Man soll es ja auch nicht unbedingt schmalzig singen! Man darf vielleicht, muss aber nicht. Die Operette lebt nicht davon, dass man verschmiert oder verschmalzt, sondern sie funktioniert von ganz alleine. Also: Vorsicht mit Portamenti! Von Schluchzern bin ich auch kein so großer Freund. Kommen nicht oft vor bei mir.

RONDO: Welche Rollen von dieser CD wollen Sie auch auf der Bühne singen?

Vogt: Gerne das „Land des Lächelns“! Warum nicht auch „Gräfin Mariza“, wenn eine gute Produktion des Weges kommt? Im Prinzip kommen die meisten der Rollen in Frage, die Nicolai Gedda sang. Am wenigsten Camille in der „Lustigen Witwe“, denn die Rolle ist mir zu sehr nebenbei. Man will ja auch Eindruck machen, oder?

RONDO: Und im Musical?

Vogt: Da habe ich das meiste schon im Orchestergraben hinter mich gebracht. In Hamburg spielte ich Horn im Orchester von „Cats“ und „Phantom der Oper“, die dort noch in großer Besetzung aufgeführt wurden. Besonders schön war es, wenn oben auf der Bühne meine Frau die Christine gesungen hat. Ich bewundere Musical- Sänger für ihre Perfektion. Und für den Knochenjob, den sie machen. Dort tritt man sechs bis acht Mal pro Woche auf. Fünf Vorstellungen zwischen Freitag und Sonntag sind keine Ausnahme. Da können selbst Wagner-Sänger nur staunen.

RONDO: Was sagen Sie denen, die Operette trutschig finden?

Vogt: Die haben leider nicht ganz Unrecht. Weil es leider oft so gemacht wurde. Entweder zu plüschig. Oder so progressiv, dass man es nicht mehr wiedererkannt hat. Wenn man mit zu viel Verve rangeht, macht man’s auch kaputt. Es sind ausgewachsene Partien, aber eben keine echten Arien.

„Ich empfehle: nicht immer nur auf die Stimme bolzen!“

RONDO: Worin besteht gesanglich der Unterschied zu Wagner?

Vogt: Operette ist technisch insofern schwerer, als man sie heute im Allgemeinen nicht mehr lernt. Nach Wagner und Strauss ist es schwierig, wieder runterzukommen und nicht zu viel zu geben. Der Hauptfehler wäre, dass man forciert. Dass man mehr will, als in Wirklichkeit nötig ist. Nur ist genau dies die Hauptschwierigkeit auch bei Wagner selbst. Man darf nicht anschieben. Nicht forcieren. Sonst verlässt man den Stimmsitz. Und gerät in Notwehr.

RONDO: Was tun Sie, um das zu vermeiden?

Vogt: Wenn’s drum herum lärmt, ein Riesenchor da steht und voll aussingt, hilft nur, sich auf die eigene Technik zu konzentrieren und nicht mitzuziehen. Wenn man dann leise bleibt, kann es passieren, dass die anderen gleichfalls leiser werden. Das sind die kleinen Freuden des Wagner-Gesangs.

RONDO: Parallel hat auch Jonas Kaufmann bei Sony ein Operettenalbum aufgenommen. Bedeutet das Krieg zwischen Ihnen beiden?!

Vogt: Warum denn?! Ist schon klar, dass wir irgendwie Konkurrenten sind. Aber wir sind hier ja nicht im Sport. Jeder verfolgt seinen eigenen Weg. Ich habe nicht den Ehrgeiz zu sagen: Dem zeig ich’s!

RONDO: Öffnet Ihnen diese CD die Tür zu allen Musikantenscheunen und Volksmusikstadeln?

Vogt: (Lacht.) Ich lass das mal auf mich zukommen. Gegen Fernsehsendungen als solche hab’ ich nichts. Den Musikantenstadl guck ich mir allerdings nicht an. Carmen Nebel? Ich hab’ keine Anfrage. Ich sehe mich auch nicht als Schlagersänger, und da driftet das schon hin, oder?

RONDO: Das werte ich als ein „Ja“. Sagen Sie mir noch, welche schweren Wagner-Rollen Sie vorhaben?

Vogt: Tannhäuser. Dann vielleicht Tristan. Dann vielleicht Jung-Siegfried. Alles Rollen, die ich, wenn es nach den Angeboten ginge, schon vor zwei Jahren hätte singen können.

RONDO: Dann wären Sie heute vielleicht schon mit allem durch!?

Vogt: Richtig! Ich könnte dann heute schon fertig sein. Der Tannhäuser ist fest terminiert, in vier Jahren. Ich glaube, es ist gut, gewartet zu haben. Wer weiß, was sonst mit dem Lohengrin passiert wäre. Auch Stolzing liegt mir nach wie vor sehr gut. Erik dagegen im „Fliegenden Holländer“ ist eine Partie, bei der man nie gewinnen kann. Die Kavatine liegt ungünstig, direkt davor hat man noch dazu einen starken, gefühlsmäßigen Ausbruch. Mit einer Heldentenor- Stimme geht man baden. Und genug Platz, um sich richtig zu zeigen, hat man auch nicht. Erik ist die kürzeste, in gewissem Sinne schwierigste und undankbarste Wagner-Partie.

RONDO: Glauben Sie, dass Ihr Cavaradossi in „Tosca“, den einige Zuschauer nicht mochten, Ihrem Lohengrin genützt hat?

Vogt: Ganz bestimmt! Im italienischen Repertoire, ebenso im französischen Fach und in Liedern hat man die Möglichkeit, in andere Ecken der Stimme zu schauen. Wenn man viel Wagner singt, besteht auf Dauer die Gefahr, dass die Farben verloren gehen. Das liegt vor allem daran, dass der Wagner-Gesang heute von falschen Erwartungen geprägt ist. Wenn man sich nicht davon frei macht, hat man die Folgen selbst zu tragen. Ich empfehle: nicht immer nur auf die Stimme bolzen! Genau dabei hilft mir die Operette.

Neu erschienen:

Lehár, Stolz, Kálmán, Bernstein, Lloyd-Webber

„Favorites“

Klaus Florian Vogt, Münchner Rundfunkorchester, Gerrit Priessnitz

Sony

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Robert Fraunholzer, 29.03.2014, RONDO Ausgabe 2 / 2014



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