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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Mat Hennek

Fauré Quartett

Kammer-Orchester

Gemeinsam mit Simone Kermes erkunden die vier Musiker an Mahler und Strauss die Extreme des Fin-de-siècle. Von orchestral bis – pianissimo.

Eine gut eingespielte Kammermusikformation lässt sich manchmal auch als solche erkennen, wenn die Musiker ihre Instrumente gar nicht in Griffweite haben. So wie an diesem Vormittag in der „Kleinen Philharmonie“, einem vis-à-vis von der Berliner Universität der Künste gelegenen Café, wo es sich die Mitglieder des Fauré- Quartetts an einem runden Holztisch bequem gemacht haben – und vielleicht auch deswegen zugleich wie eine vertraute Wohngemeinschaft wirken. Hübsch ist es zu beobachten, wie ohne äußere Absprache jeder seinen kleinen Solo-Redebeitrag erhält – und der Besucher trotzdem den Eindruck bekommt, seine Fragen von allen gemeinsam beantwortet bekommen zu haben.
19 Jahre haben Sascha Frömbling (Bratsche), Erika Geldsetzer (Violine), Konstantin Heidrich (Violoncello) und Dirk Mommertz (Klavier) es beruflich miteinander ausgehalten. Sie wurden dabei nicht nur zu einer der herausragenden Kammermusikensembles ihrer Generation, sondern haben vor allem dazu beigetragen, dass sich ihre Besetzung, das Klavierquartett, als professionelle Kammermusikformation etabliert hat.
Ein wenig Abgrenzung war dazu anfangs nötig, erklärt Erika Geldsetzer: „Wir haben tatsächlich versucht, den Leuten beizubringen, dass ein Klavierquartett eine feste Formation ist, die in nichts einem Streichquartett oder einem Klaviertrio nachsteht und die auch ihr festes Repertoire hat. Und das haben wir wirklich lange Jahre völlig exklusiv gemacht, ohne dass wir mit anderen Leuten zusammengespielt haben – voll und ganz absichtlich um zu zeigen: Das ist erstmal diese Gruppe.“
Doch nun, 19 Jahre nach ihrer Gründung, schien den Musikern die Zeit reif für ein eigenes Aufnahmeprojekt mit Gast – der Sopranistin Simone Kermes. Für manchen ist das eine kleine Überraschung, denn auf den ersten Blick scheint der Unterschied zwischen der vornehmlich als extrovertierte Barockdiva bekannten Sängerin und dem achtsamen Quartett groß zu sein. Doch schon 2007, bei einem einmaligen gemeinsamen Auftritt mit Bearbeitungen von Opern in der Berliner Yellow Lounge, funkte es zwischen den Musikern. Und als man am runden Cafétisch eben jener „Kleinen Philharmonie“ die Idee für das neue Album besprach, wurde die Sängerin schnell als Gast in die musikalische WG aufgenommen.
Kristallisationspunkt des Albums war dabei zunächst gar nicht der Gesang gewesen, sondern der Wunsch, zwei gewichtige Jugendwerke der Klavierquartett-Literatur des späten 19. Jahrhunderts aufzunehmen: nämlich das 1876 entstandene a-Moll-Quartett von Gustav Mahler und das zwischen 1883 und 1884 vollendete c-Moll-Quartett op. 13 von Richard Strauss. Gerade auch im Falle des a-Moll-Quartetts, das sich als einziges von allen Kammermusikwerken Mahlers erhalten hat, verlangten die Fans nach einer Einspielung, erzählt Dirk Mommertz: „Egal wann wir Mahler gespielt haben wurden wir mindestens ein Mal hinterher gefragt: ‚Wann nehmt ihr das denn endlich auf?‘ Daher sind wir sehr froh, diesen Menschen endlich diese Aufnahme bieten zu können.“
Die Bearbeitung der frühen Klavierlieder für Quartett und Singstimme lag einerseits nahe: Strauss und Mahler gelten sowohl als Meister des Klavier- wie auch des Orchesterlieds und behandelten das gleiche Material in unterschiedlichen Instrumentationen: So hat Richard Strauss die frühen Klavierlieder aus dem Zyklus op. 27, aus dem drei Stücke zu hören sind, später auch selbst für Orchester bearbeitet. Dennoch waren sich die Musiker keineswegs sicher, die Genehmigung für eine Bearbeitung der Lieder für Singstimme und Klavier zu erhalten: Schließlich liegen die Rechte an den Werken für Strauss, der als Mitbegründer der GEMA in Urheberrechtsfragen keinen Spaß verstand, noch bis 2018 bei seinen Erben. Erst nachdem es Dirk Mommertz gelang, die Urenkelin des Meisters persönlich ans Telefon zu bekommen, war der Weg zu Strauss frei: „Die einzige Vorgabe war, dass wir nichts Neues hinein komponieren, das hatten wir ohnehin so geplant.“

„Wir haben versucht, ein Brahms- Quartett einmal so klingen zu lassen wie eine Sinfonie.“

Auch wenn die Musiker eng am Notentext bleiben – als Interpreten reizt sie durchaus die Aufgabe, das sinfonische Denken, das sich auch bereits in den Klavierquartetten ankündige, mit der Intimität des Liedes zu verbinden. Mit der sinfonischen Dimension, die beim von Natur aus farbenreichen Klavierquartett eine größere Rolle spiele als etwa beim Streichquartett, habe man sich schon bei der Einspielung der Brahms-Quartette intensiv beschäftigt, sagt Dirk Mommertz: „Unsere Herangehensweise an diese Werke war ein orchestraler Gedanke. Wir haben versucht, ein Brahms- Quartett einmal so klingen zu lassen wie eine Sinfonie.“ Bei den Liedern von Strauss, deren Klavier- und Orchesterfassungen gewissermaßen zwei Besetzungsextreme darstellen, sei man durch die Bearbeitung frei, sich in beide Richtungen zu bewegen, meinen die Musiker: „Die Bandbreite der Stücke, die wir ausgewählt haben, reicht bewusst von einem ganz orchestral großen Werk wie ‚Cäcilie‘ bis hin zu einem der intimsten Stücke, die es gibt, nämlich ‚Morgen‘ – und das wollten wir auch ausloten.“
Um diese Herausforderung zu meistern, schien den vier Instrumentalisten Simone Kermes als ideale Partnerin. „Was sie macht, das macht sie aus vollem Herzen – egal ob das barocke Opern sind oder romantische Lieder“, sagt Erika Geldsetzer. „Und das finden wir natürlich ganz toll, denn auch wir probieren immer den richtigen Schlüssel für den jeweiligen Komponisten zu finden und eben nicht Brahms wie Strauss und Strauss wie Mozart klingen zu lassen.“ Als spannend empfanden es die Musiker dabei, einerseits mit einem orchestralen Klang zu spielen und sich gleichzeitig darauf einzulassen, mit der Sängerin auch die vielen Passagen im Piano und Pianissimo, die Strauss notiert habe, einmal wirklich im Extrem zu erkunden. Wenn die speziellen Erfahrungen von Kermes im Umgang mit Barockmusik eine Rolle spielten, dann sei es ihre Erfahrung in der Zusammenarbeit mit kleinen Ensembles, sagt Konstantin Heidrich, der sich nun auch zu Wort meldet: „Sie ist da total schnell in der Reaktion, in der Inspiration und in der Kommunikation mit so einer ‚Band‘ wie uns – auch in der Körpersprache und im Atmen: Da musste man nichts erklären, sondern es war allein durch die jeweilige Aura ganz klar, was man wollte.“
Als man nach langer Suche und einigen frustrierenden Feldaufnahmen in kalten verkehrsumfluteten Kirchen schließlich mit dem Mahler-Saal in Toblach sowohl die passende Akustik als auch eine inspirierende Atmosphäre für die Aufnahme gefunden hatte, genossen es die Musiker, in der idyllischen Umgebung für einige Tage der Welt abhanden zu kommen: „Nicht einmal Handyempfang hatten wir dort“, schwärmen sie. Wem es nicht genügt, dieses musikalische Einverständnis mit der Aufnahme nachzuvollziehen, der kann den Musikern allerdings auch live in die raue nordostdeutsche Landschaft folgen, wo das Fauré Quartett bereits zum dritten Mal die künstlerische Leitung eines Festivals übernommen hat. Die Pläne dazu entstanden allerdings in Berlin – in der WG-Atmosphäre der „Kleinen Philharmonie“.

Neu erschienen:

Strauss, Mahler

Klavierquartette, Lieder

Simone Kermes, Fauré Quartett

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Fragment im russischen Exil

Mahlers Klavierquartett in a-Moll ist nicht nur das einzige von ihm erhaltene Kammermusikwerk, sondern auch die einzige verbliebene Komposition aus seiner Zeit am Wiener Konservatorium (1875–1878). Nachdem das Stück des erst 16-Jährigen im Salon von Theodor Billroth zur Aufführung gekommen war, schickte Mahlers Vertraute Nathalie Bauer-Lechner die Komposition für einen Wettbewerb nach Russland – wo es bis 1976 verschollen blieb. Ob das frühreife Werk vollständig ist, bleibt fraglich: Erhalten haben sich nur der Kopfsatz und eine 24-taktige Skizze zu einem Scherzo.

Carsten Niemann, 05.04.2014, RONDO Ausgabe 2 / 2014



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