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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Fanfare

Sprachen wir nicht erst vor Kurzem an dieser Stelle von der unvergleichlichen Schönheit der Stimme? Ja, wir führten dieses Wort im Munde und daraufhin auch aufs Papier, und dazu gab es ja in der Tat auch genügend Anlass, Sie werden sich erinnern. Nun wissen wir ebenfalls, dass in der Kunst wie im Leben sich manches wiederholt, nur zuweilen in veränderter Gestalt. Wie zauberhaft eine Wiederholung sein kann, das zeigte sich nun in Luzern, wo wir, von Frankreich kommend, Station machten, und das beileibe nicht nur, um am See entlang zu schlendern in aller Gemütsruhe. Denn Claudio Abbado dirigierte in Jean Nouvels wahrlich prächtigem, an den Ufern ebenjenes Sees gelegenem Musentempel das von ihm anno 2003 gegründete Lucerne Festival Orchestra mit der Vierten Sinfonie von Gustav Mahler, des Komponisten zartestes, filigranstes und vielleicht lebensbejahendstes Werk der Gattung. Abbado, der ein Bruder Mahlers im Geiste zu sein scheint, tat dies – ohne Taktstock, nur mit den Händen die Klänge formend – schwerelos schwebend, ja himmlisch. Wie man nun weiß, gibt es in der Vierten einen Satz, es ist der finale, bei dem sich der sinfonischen Körper die menschliche Stimme gleichsam einverleibt. In Luzern sang Magdalena Kozˇená diese Solopartie, jene Sängerin, die uns vor nicht allzu langer Zeit erst mit ihrem Vivaldi-Album zu bezirzen vermochte. Ihr Mezzosopran scheint in der jüngeren Vergangenheit noch wärmer, fließender, dunkler geworden, will sagen: betörender. Und eben so, betörend sinnlich nämlich, sang sie die Worte des letzten Satzes, mit einem kaum spürbaren Beben in der Stimme und zugleich mit einer Leichtigkeit, die alle Erdenschwere für Augenblicke vergessen ließ. Die Folge davon war, dass plötzlich wahr wurde, was die Verse insinuierten: »Kein’ Musik ist ja nicht auf Erden / Die unsrer verglichen kann werden.«
Das wollen wir gewiss auch nicht tun, sondern gleichwohl von einer weiteren sängerischen Erfüllung sprechen. Denn kaum, dass wir Luzern verlassen hatten, um ein letzes Mal in diesem Jahr den Weg nach Salzburg zu suchen, zu den dortigen Sommerfestspielen, begegnete uns erneut eine Stimme, der wir zu verfallen drohten. Sie gehört dem Mann, der das legendäre hohe C beherrscht wie kein zweiter Tenor unserer Zeit. Davon konnte man sich auch an der Salzach wieder überzeugen, wo Juan Diego Flórez einen Arienabend gab und wie schon in New York die Arie »Ah, mes amis« aus Donizettis »La fille du régiment« zum Besten gab. Und wenn er diesmal, im Gegensatz zu seinem Metauftritt, auch darauf verzichtete, das Bravourstück zu wiederholen, so konnte man sich restlos davon überzeugen, welch feste Burg diese Stimme ist in der höchsten aller möglichen Männerhöhe. Das allein allerdings hätte uns kaum zu Tränen gerührt. Was dies bewirkte, war die Art und Weise, wie Flórez die große Klage des Orpheus aus Glucks Oper »Orfeo ed Euridice« sang. Wie innig er dies tat, wie schmerzensreich, wie gefühlig, ohne aber dabei ins Sentimentale abzugleiten. Einfach atemberaubend!
Man soll sich hüten vor Superlativen, wir alle wissen das. Aber auch die dritte Stimme, die es uns wert ist, in diesen Zeilen gerühmt zu werden, darf von sich sagen, sie sei exquisit und extraordinär. Ihre Eigentümerin hat sie – im Gegensatz zu solchen Künstlern, die den Stimmbändern gewissermaßen vokales Botox einspritzten, um sie üppiger wirken zu lassen – langsam und kontinuierlich wachsen lassen, und das erweist sich mehr und mehr als ein Vorteil. Nachhaltig unterstrichen wurde dies bei der konzertanten Eröffnungspremiere an der Deutschen Oper Berlin, der arg gebeutelten und beinahe ins Mittelmaß hineingeredeten. Elīna Garanča sang dort den Romeo in Bellinis Oper »I Capuleti ed i Montecchi«, und sie sang diese Partie mit einer Noblesse und mit einer Distinktion, die man selten vernimmt. Famos waren an diesem Abend, den wir in bester Erinnerung behalten werden, ihre Partner, allen voran Ekaterina Siurina als ihre (respektive: seine) Geliebte Giuletta, die diese Rolle mit eindringlicher Emotionalität verkörperte, aber ebenso Dario Schmunck als Tebaldo und Ante Jerkunica als Lord Capulet. Ja, und auch das Orchester spielte unter der Leitung von Karel Mark Chichon, dem Ehegatten von Elīna Garanča und famosen Dirigenten, mit einer Lust, die ihrerseits Lust machte auf weitere Besuche in der Bismarckstraße. Von dort war es dann auch nicht weit zum eigentlichen Ziel unseres Aufenthaltes in der bundesdeutschen Kapitale: dem Musikfest Berlin 09, das heuer unter dem Motto »Zeitalter der Extreme« stand und dessen Nukleus Werke der tonsetzenden Herren Joseph Haydn, Iannis Xenakis und Dmitri Schostakowitsch bildeten. Zweieinhalb Wochen lang pilgerten wir abends in die Philharmonie und wurden Zeuge so mancher beeindruckenden Wiedergabe. Da es der Beeindruckungen aber so viele waren, dass es nahezu ein Ding der Unmöglichkeit wäre, sie alle gebührend zu würdigen, kommen wir nicht umhin, die feinste Perle herauszufischen: das Gastspiel des Koninklijk Concertgebouworkest aus Amsterdam. War schon die Interpretation der sogenannten »Militärsinfonie« Haydns ein musikantisch-parodistischer Genuss, so kam diejenige der Zehnten Sinfonie von Schostakowitsch einem nachgerade existenziellen Entwurf gleich. Das Werk ein Bekenntnis, eine Abrechnung, auch ein Hilfeschrei. Jeder Akzent ein Stich, jeder Ton ein Schlag ins imaginäre Gesicht. Das Ganze in einem derart furiosen Tempo, dass man dem Wahne nahe war. Und derart perfekt gespielt, als sei die Musik scharfkantige Lithografie. Zu danken war dies einmal den wunderbaren Musikern, aber vor allem ihrem Dirigenten, der uns ohnehin als einer der besten der Welt erscheint, und der sich an diesem Abend auch körperlich immer wieder aufwarf zu heroischer Geste: Mariss Jansons.
Alles Gute bis zum nächsten Mal: Ihr Tom Persich

Tom Persich, 15.03.2014, RONDO Ausgabe 5 / 2009



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