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Das Label BR-Klassik

Grüße aus dem Schallarchiv

Immer mehr Künstler und Orchester machen sich unabhängig von den traditionellen Plattenlabels. Ensembles in London, St. Petersburg und Chicago haben es vorgemacht. Nun zieht der Bayerische Rundfunk nach, der neben seinen Archivschätzen vor allem mit seinem derzeitigen Chefdirigenten Mariss Jansons punkten kann. Was man sich vom eigenen Label erhofft, erkundete Tobias Hell.

Gerade noch war er mit dem Concertgebouworkest beim Enescu Festival in Bukarest zu Gast und schon einen Tag drauf soll es gemeinsam mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks wieder zurück in die rumänische Hauptstadt gehen. Doch diesen Pressetermin Ende Oktober in München wollte sich Mariss Jansons aller Hektik zum Trotz nicht nehmen lassen. Schließlich ist sein Orchester eine der drei Säulen des neu gegründeten Labels BR-Klassik, dessen erste Neuerscheinungen hier im Hochhaus des Bayerischen Rundfunks der Öffentlichkeit präsentiert werden. Und wenn man schon ins Geschäft einsteigt, dann gleich richtig. Das zeigt auch die Verpflichtung von Label-Manager Stefan Piendl, der lange Jahre in der CD-Branche an entscheidender Stelle aktiv war. »Da kann es schon mal passieren, dass eine Studioaufnahme nicht ganz so wird, wie man sich das vielleicht vorgestellt hat. Hier sind wir in der komfortablen Situation, dass jedes Konzert aufgezeichnet wird und wir anschließend auswählen können, was wir veröffentlichen wollen.« Und dabei geht es nicht nur um aktuelle Mitschnitte.
Rund 20.000 »Medieneinheiten«, wie es auf Amtsdeutsch so schön heißt, schlummern da noch im Münchner Archiv. Aufnahmen einzelner Werke oder ganzer Konzertabende, »die hier im Keller versteckt sind«, wie es Mariss Jansons trocken formuliert. »Das ist wie ein Museum, das Tausende von Bildern hat, aber nicht genügend Räume, um sie auszustellen. « Eine Auswahl zu treffen, ist da für Piendl und seinen Kollegen Peter Alward gar nicht so einfach. Denn neben dem Symphonieorchester wollen in gleichem Umfang auch der Chor und das Rundfunkorchester berücksichtigt sein. Und während Jansons bereits die Hörer künftiger Generationen im Hinterkopf hat, kreisen die Gedanken von RO-Chefdirigent Ulf Schirmer vor allem um das Hier und Jetzt. »Ich denke da nicht so an die Ewigkeit. Das Radio ist ein sehr flüchtiges Medium. Aber wenn es ein Projekt gibt, wie zum Beispiel die Aufführung von Hartmanns ›Simplicius‹, in die wir sehr viel Arbeit investiert haben, bin ich natürlich froh, wenn das nicht einfach so verschwindet.« Gerade mit dieser Produktion ist Schirmer nämlich eine Aufnahme gelungen, die die schmale Diskografie des Komponisten um einen interessanten Farbtupfer bereichert.
Auch wenn man sich den Möglichkeiten des Downloads nicht ganz verschließen will, gleich alle Konzerte im Netz anzubieten, wie es teilweise im Popsektor praktiziert wird, schließt Stefan Piendl aus. »Klassik funktioniert anders. Ein Popkonzert hat als Konkurrenz lediglich das eigene Studioalbum. Bei einer Mahlersinfonie gibt es dagegen zig Vergleichsaufnahmen mit denen sie im Wettbewerb stehen. Deshalb hatten wir von Anfang an einen hohen Qualitätsanspruch an uns selbst.« Damit eben mehr dabei herauskommt als nur ein nettes Souvenir für die Konzertbesucher. Aber dank modernster Aufnahmetechnik kann sich die Jansons-Version von Mahlers Siebter ebenso hören lassen wie das Haydnalbum. Und anders als bei manch seelenloser Studioproduktion erlebt man hier wirklich lebendiges Musizieren.

Tobias Hell, 22.02.2014, RONDO Ausgabe 6 / 2009



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