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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Magali Mosnier

Von Tröten und Flöten

Mit einer jener quietschigen und vor allem lauten Kindertröten fing alles an. Später stieg die Französin Magali Mosnier um auf Oboe. Aber das war’s immer noch nicht. Erst mit der Querflöte gewann sie 2004 den Münchner ARD-Musikwettbewerb und wurde ein Star. Seither ist sie weltweit gefragt als Solistin wie als Kammermusikpartnerin – und will doch von ihrer Orchesterstelle bei Radio France nicht lassen. Bei den Aufnahmesitzungen zur neuen CD sprach mit ihr Thomas Rübenacker.

RONDO: Sie haben angefangen mit der Oboe. Warum sind Sie zur Flöte übergewechselt?

Magali Mosnier: Angefangen habe ich mit einer Quietscheente und das führte dann erstmal zu einer Tröte. Als ich noch ein Kind war, wollte ich einfach ein Blasinstrument spielen – eben so, wie Kinder das gerne tun: In eine Tröte pusten, möglichst viel Lärm machen. Das verfeinerte sich dann, als ich anfing, ernsthaft Oboe zu lernen. Nur merkte ich ziemlich rasch, dass die Oboe nicht mein Instrument ist. Ich musste ständig nach Luft ringen. Die Flöte bläst man, rein atemtechnisch, ziemlich genau so, wie man singt. Es ging mir also doch nicht nur ums Krachmachen! (lacht)

RONDO: Sie haben auch mal gesagt, um eine französische Flöte richtig zu blasen, müsse man Französisch können. Glauben Sie das wirklich?

Mosnier: Keine Ahnung. Malcolm Wilson, ein amerikanischer Flötist, hat das behauptet – zum Beispiel, um ein gut klingendes Staccato spielen zu können. Er hat Französischunterricht genommen und in Paris noch mal weiterstudiert. Ich kann das gar nicht beurteilen. Ich spreche fast nur Französisch! (lacht)

RONDO: Ihre erste CD nach dem Sieg beim ARD-Wettbewerb war ein rein französisches Programm, Fauré, Ravel, Debussy – die zweite, die Sie mit dem Stuttgarter Kammerorchester gerade aufnehmen, widmet sich ganz Bach. Das Repertoire für Flöte ist eben doch gut überschaubar. Geben Sie deshalb Ihre Stelle im Orchestre Philharmonique de Radio France nicht auf?

Mosnier: Auch. Sie haben absolut recht: Solistenruhm ist begrenzt vom Repertoire, es sei denn, man heißt Jean-Pierre Rampal. Der hat alles gespielt, was nicht niet- und nagelfest war! Zeitweise hat er drei Arrangeure gleichzeitig für sich arbeiten lassen. Aber das ist nicht mein Ziel, es passt auch nicht mehr in unsere Zeit. Wissen Sie, warum ich gern im Orchester bleibe? Da kann ich auch die Komponisten spielen, die sonst die Flöte nicht mit der Beißzange angefasst hätten: Schumann, Brahms, Gustav Mahler!

RONDO: Könnte Sie eine Rampal-Karriere nicht reizen?

Mosnier: Die wird es nie wieder geben – das hängt mit seiner Persönlichkeit zusammen, aber auch mit der Zeit. Heute interessiert nicht mehr so sehr die Hexerei, sagen wir: Rimskij-Korsakows »Hummelflug« auf der Flöte. Heute will man Bach oder Mozart so authentisch wie möglich hören. Und die zweite Orchestersuite von Bach ist für die Flöte mindestens ebenso virtuos wie der »Hummelflug«! Ich glaube, ich habe die richtige Mischung für mein Leben gefunden: Zuerst kommt meine Familie, dann die Orchesterarbeit – und die solistischen Auftritte sind das Sahnehäubchen. Sozusagen der Luxus, auf den man zur Not auch verzichten kann.

RONDO: Mit anderen Worten: Sie richten sich schon auf die Zeit nach dem Solistenruhm ein, wenn Sie das wie gesagt überschaubare Repertoire bereits zur Gänze eingespielt haben werden?

Mosnier: Naja, solistisch ist man ja nicht nur auf Schallplatten präsent. Sicher kann ich »Syrinx«, das Solostück von Claude Debussy, nicht zweimal einspielen, es sei denn im Abstand vieler Jahre. Aber wenn jemand mir ein Recital anbietet oder das Mozartkonzert für Flöte und Harfe in London, mit dem Philharmonia Orchestra – warum sollte ich da Nein sagen? Dennoch bleibe ich dabei: Brot und Butter meines Lebens ist die Orchesterstelle. Womit ich nicht sagen möchte, dass Plattenaufnehmen keinen Spaß macht oder mehr Stress ist.

RONDO: Sie sind ja gleich bei einem der größten Labels gelandet. Andere junge Künstler fangen bei Kleinlabels an, wo sie noch zuzahlen müssen.

Mosnier: Ich habe einfach Glück gehabt. Die suchen offenbar immer dringend junge Solisten, die sie erproben können, und reisen dafür durch die Weltgeschichte, von einem Wettbewerb zum anderen. Diesmal war’s der ARD-Wettbewerb in München, und dass ich den gewann, half natürlich ungemein.

RONDO: Sicher half auch, dass Sie gut aussehen.

Mosnier: Meinen Sie?

RONDO: Naja, ich stelle mir vor, dass Quasimodo, der Glöckner von Notre- Dame, vielleicht nicht so viel Glück gehabt hätte, selbst wenn er göttlich die Flöte bliese.

Mosnier: (lacht) Da kann man Ihnen wahrscheinlich nicht widersprechen, aber auch das gehört in unsere Zeit: einerseits das »Reinheitsgebot« der Quellen, andererseits aber haben wir auch die Ära der Bilder. Man kann eben auf dem CD-Cover nicht immer Bach oder Mozart abbilden, auch wenn deren Leistung gewaltig größer war als meine. Deshalb freut man sich vermutlich, mich abdrucken zu können statt den Glöckner. Ich glaube, im Journalismus heißt das: Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Aber das gilt dann wohl eher für Sänger, die bestimmte Rollen verkörpern, etwa Anna Netrebko. Die müssen heute eben auch gut aussehen. Vor 50 Jahren standen fast nur Sänger auf der Bühne, die ihren »Resonanzkasten« immer mit sich herumschleppten.

RONDO: Aber die Flöte war schon immer schlank.

Mosnier: (lacht) Ja – und genauso sollte man sie auch spielen! Wir haben in Frankreich ein Wort dafür, das heißt »clarté«: In der Klarheit wird die Emotion nicht verwischt, nur der Pinselstrich ist nicht so dick, man ahnt mehr, als dass man es aufs Ohr gedrückt bekommt. In meinen Anfängen war die Oboe bestimmt ein wunderbares Instrument, sie hat eigentlich immer »schöne Stellen« und klingt ganz selten nicht gut. Aber die Flöte liegt mir einfach näher mit ihrer »clarté« – so viel noch einmal zum Wechsel!

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La flûte enchantée: Frankreich und die Flöte

Entgegen allem Hoffen haben die Franzosen die Flöte nicht erfunden. Auf der Schwäbischen Alb fand man zum Beispiel 35.000 Jahre alte steinzeitliche Elfenbeinflöten, und die erste Querflöte taucht in einem etruskischen Relief in Perusa auf, so circa 2. Jahrhundert vor Christus. Ist die Flöte somit ein Weltbürger, unbehaust, wie Ahasver durch die Orte und Zeiten wandernd – ja, womöglich sogar ein menschliches Grundbedürfnis, aus festen Materialien etwas herzustellen, womit man das Pfeifen nur mit Lippe und Luft verstärken könne, es sogar zur Kunst adeln? Das trifft bestimmt alles zu – es kann aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Flötentöne eine zutiefst französische Angelegenheit sind. Dort bläst man einfach am schönsten, in alter Zeit rotteten sich ganze Familien mit ihren Querflöten ums Lagerfeuer (Loiellet père et fils et fils-fils), und wer komponierte nach dem Barock und der Frühklassik noch für Flöten? Nur die Franzosen, fast die ganze zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts: Fauré, Saint-Saëns, Gounod, Ravel, Debussy, Ibert undundund.
Wenn man ein deutsches Musiklexikon aufschlägt, erfährt man Folgendes: »Im engeren Sinne ist die Flöte ein Instrument, bei dessen Tonbildung ein Luftstrom gegen eine scharfe Kante geleitet wird, wodurch die Luftsäule des Corpus durch Resonanz in Schwingung gerät und gleichzeitig den Spalt- oder Schneidenton stabilisiert. Die Frequenz hängt ab von der Röhrenlänge, die mittels Verschluss oder mit Hilfe von Grifflöchern und Klappen verändert werden kann.« So weit die Flöte als physikalisches Phänomen. Aber wo bleibt der Charme, die Luzidität, die sich auch mal zur Verführungskraft »weißer Nächte« steigern kann? (Man höre Debussys Solostück »Syrinx« – mehr als nur der Nachmittag eines Fauns!) Die Antwort ist einfach: Wir haben die Physik der Flöte und ihre knochigen Überreste aus der Steinzeit, aber ihren Charme und ihre Verführungskraft – haben die Franzosen. Zum Beispiel Magali Mosnier.

Thomas Rübenacker, 22.02.2014, RONDO Ausgabe 6 / 2009



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