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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Fanfare

Wie es die Kulturtradition in Italien so will, gibt es auch in Mailand tagein, tagaus im Grunde kein anderes Thema als – Fußball. Musik, Oper, Theater, all das spielt eine Nebenrolle – bis Anfang Dezember. So lange nämlich war das legendärste Opernhaus der Welt, das im normalen Leben auch nicht mehr ist als ein ganz gewöhnliches Opernhaus (aber das ist eine andere Geschichte) geschlossen. Dann aber, dann spricht tutto nel mondo nur noch von dem einen Ereignis: der feierlichen und offiziellen Saisoneröffnung der Scala. Am 7. Dezember war es soweit, auf dem Programm stand »Carmen«, und von Freunden, die das Glück in Gestalt von Karten für diesen Tag gewissermaßen in Händen hielten (und den Teufel taten, uns zu verraten, wie sie das Unmögliche zu realisieren imstande waren), haben wir erfahren, dass die Pelz- und Juwelenansammlung elementar gewesen sein muss, das Gedränge mächtig und die (typisch italienische) Theatralik, und das bereits vor jenem magischen Moment, an dem sich der Vorhang hob. Auch gut eine Woche später, als wir, an gleicher Stätte, im oberen Rang saßen (andere Tickets waren schier nicht zu ergattern, geschweige denn bezahlbar), war noch eine Menge an Schmuck und Schmonzes zu sehen. Aber nicht deswegen waren wir nach Mailand gefahren. Wir waren dort, um Jonas Kaufmann und Erwin Schrott in den männlichen Hauptrollen zu hören und vor allem, um uns einen Eindruck von der jungen Anita Rachvelishvili zu machen, die die Carmen sang und von der wir gehört hatten, sie sei enorm talentiert. Nun, wir haben sie gehört, und nur das Eine können wir über Frau Rachvelishvili sagen. Sie sang zauberhaft. Mit einer geschmeidigen, über die Maßen variablen Stimme, die sich vor allem in dramatischer Höhe so sicher hielt wie das Amen in der Kirche, sowie einer lyrischen Seite der Medaille, die uns, wir wollen es nicht verschweigen, doch die eine oder andere Träne die Wangen herunterkullern ließ. Doch wollen wir die Herren der Schöpfung nicht vergessen: Auch sie begeisterten uns. Und nicht nur Erwin Schrott und Jonas Kaufmann. Auch Daniel Barenboim zeigte im Graben wieder einmal, dass er, wenn er willens ist, höchst feinfühlige, tiefsinnige und zu Herzen gehende Interpretationen vorzulegen weiß. Völlig verblüfft waren wir von der ambitionierten und klugen Inszenierung. Emma Dante, allein der Name ist eine Sensation. Und als Regisseurin schien die Dame wirklich hochgradig sensibilisiert für die Tücken einer Partitur wie »Carmen«. Meisterlich, wie es ihr gelang, den Bogen von der Vergangenheit ins Heute zu spannen. Chapeau! (Und: Willkommen bald in Deutschland!)
Wenn man gen Süden über die Alpen reist, auf den Spuren Goethes und all der anderen munteren Musensöhne, dann bleibt man natürlich eine Weile, sonst lohnt es sich ja nicht. Wir flanierten also durch die Museen, um uns wieder einmal davon zu überzeugen, dass dieses Land ehedem, ja bis ins 19. Jahrhundert hinein, eine Stätte der Hochkultur war (Berlusconis Italien ist, milde ausgedrückt, nicht einmal mehr ein Schatten davon, nurmehr eine Ruine), und wir fuhren dann weit in den Süden nach Caserta zum Königspalast mit seinem formidablen barocken Theater. Dort trat die Heilige Cäcilie auf – was, wenn man es so stehen lässt, eigentlich leicht geflunkert ist. Aber ganz gewiss gibt es Leute in Rom und anderswo, die Cecilia Bartoli diesen Titel längst verliehen haben. Jedenfalls, die Bartoli gab in Caserta Proben ihres Könnens, was zurzeit kaum etwas Anderes meint, als: Sie sang die Stücke, die auf ihrer vor einiger Zeit erschienenen CD mit dem schönen religiösen Titel »Sacrificium« versammelt sind. In der heimeligen Atmosphäre des barocken Ortes klang das plötzlich viel vitaler, auch inniger als auf der CD, sodass wir das barocke Theater mit einem wahren Hochgefühl wieder verließen.
Derartig beflügelt erreichten wir Wien kurz vor dem Weihnachtsfest. Was wir bislang verschwiegen haben: Wir kamen auch von dort. Wir hatten nämlich am gleichen Ort die neueste Harnoncourt-Tat miterleben dürfen. Der Musiker, der am Nikolaustag seinen 80. Geburtstag feierte, dirigierte im Theater an der Wien Haynds Oper »Il mondo della luna«, Tobias Moretti führte Regie. Man kann immer wieder nur staunen vor Verehrung, wenn man diesen Mann erlebt. Diese Vitalität! Diese Agilität! Diese Verve! Es bleibt zu hoffen, dass Harnoncourt noch viele Streiche bereithält.
Das Stichwort ist damit gegeben. Denn das Wetter spielte uns einen Streich. Also blieben wir, nolens volens, in Wien (was nun wahrlich nicht die schlechteste Lösung ist) und organisierten auf die Schnelle Karten für das Neujahrskonzert mit den Wiener Philharmonikern (die guten Kontakte zu einigen Würdenträgern entpuppten sich erneut als wegweisend vorteilhaft) im Musikverein. Am Pult stand ein Mann, der noch älter ist als Harnoncourt, und nicht nur einige Monate. 85 Jahre hat Georges Prêtre bereits auf dieser schönsten aller Erden zugebracht. Und wie Harnoncourt hat er sich seine Frische bewahrt. Blitzgescheit führte er die Philharmoniker schon durch die Ouvertüre zur Operette aller Operetten, zur »Fledermaus «. Und auch danach erwies sich der französische Grandseigneur als genau der richtige Mann, um das Orchester durch diverse Offenbachiaden und andere Petitessen des 19. Jahrhunderts zu geleiten. Kurzum: Es war ein wunderschönes, ein belebendes Neujahrskonzert. Das uns für 2010 alle guten Hoffnungen denken lässt. In diesem Sinne, alles Gute bis zum nächsten Mal Ihr Tom Persich

Tom Persich, 15.02.2014, RONDO Ausgabe 1 / 2010



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