home

N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

Christina Pluhar

Die harte Tour

Klassik und Masochismus: Christina Pluhar peitscht die Musik des Frühbarock durch die »Via Crucis«.

Es ist ein Kreuz mit der Klassik: Je brutaler, enthaltsamer und hardcoremäßig sakraler sie sich gibt, desto besser kommt sie an bei den Heilssuchenden der E-Musik. Die Lust scheint immer größer zu werden, sich von der Klassik fest rannehmen zu lassen. Auch Christian Pluhar, die Jamsession- Domina der Alten Musik, fährt seit dem Erfolg ihres »Teatro d’amore«- Albums die harte Tour. »Via Crucis«, die neuesten Kreuzweg-Gänge der in Leder gewandeten Grazerin, fi letiert und verhackstückt Exerzitien und gestrenge Sätze von vergessenen italienischen Musikpriestern und macht dabei unmissverständlich deutlich: Alte Musik ist das liebste Folterwerkzeug der nachbürgerlichen Gesellschaft. Immer feste druff, aber mit Generalbass.
Man kann die Hingebung der Fans verstehen. Niemand knechtet das Unterhaltungsbedürfnis von uns Medienjunkies so passioniert, gekonnt und abwechslungsreich wie die 44-jährige »Maestra di cappella«, die von der Harfe oder von der Theorbe aus dirigiert. Ihre bizarre Schirmständer- Frisur verrät Selbstironie. Ihr Ensemble L’Arpeggiata hat Schliff, exotisches Flair und erstaunlichen Drive. Auch diesmal leihen wieder Philippe Jaroussky und Nuria Rial mit jungfräulichen Kopf-Flötentönen den Lamenti und Traditionals ihre Stimmen. Wieder jamt und groovt es, bis der Priester kommt. Wieder schmilzt der Zeitabstand zwischen dem 17. Jahrhundert und heute wie Schnee.
Auf der Suche nach einem Lautenlehrer kam Christina Pluhar ursprünglich nach Den Haag und Basel. Bei Ivor Bolton im Bayerischen Staatsorchester muckte sie an der Harfe, bis sie 2000 ihr eigenes Ensemble L’Arpeggiata gründete (benannt nach einer Toccata des Venezianers Giovanni Kapsberger). Der Liebe wegen ging sie nach Paris. Die Hohepriester der Alten Musik mögen erneut die Stirn runzeln. Dennoch gibt es gegen die dogmatisch Darmsaitenfi xierten kein besseres Heilmittel als die Bocksprünge der »Via crucis«. Als leidenschaftliche Alte-Musik-Opfer lassen wir uns von niemandem so gern piesacken wie von der steirischen Domina von der Seine. Amen.

Neu erschienen:

Via crucis

Christina Pluhar, L'Arpeggiata

Virgin/EMI

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Robert Fraunholzer, 08.02.2014, RONDO Ausgabe 2 / 2010



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Pasticcio

Er ist da! (aber vorerst nur halb)

Die Erwartungen waren riesig. Und komplett vergessen hatte man den holprigen Wahlgang, mit dem die […]
zum Artikel

Kronjuwelen

Magazin

Schätze für den Plattenschrank

Das waren noch Zeiten, als Musiker nach erfolgreicher Aufnahmesession am Ausgang sofort cash […]
zum Artikel

Hörtest

Brahms: Serenade Nr. 1 D-Dur

Porträt eines glücklichen Menschen: Mit der Serenade D-Dur formuliert Brahms seinen Traum vom […]
zum Artikel


CD zum Sonntag

Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Der Komponist Giacomo Orefice (1865–1922) wuchs in einer jüdischen Familie im norditalienischen Vicenza auf und ist vor allem für sein Opernschaffen bekannt. Auch als Pädagoge macht er sich einen Namen, sein berühmtester Schüler war der Filmkomponist Nino Rota. Orefices bekanntestes Musiktheaterwerk ist „Chopin“, für das er die Klavierwerke des polnischen Komponisten orchestrierte. Seine eigene Klaviermusik umfasst überwiegend romantische Charakterstücke, die von Gedichten, […] mehr


Abo

Top