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Es ist schwülheiß, die Handwerker in der Bayerischen Staatsoper lärmen, und dann nervt auch noch dieser Journalist mit der Frage, wie eine kühle blonde und blauäugige nordische Schönheit derart erfolgreich die feurige Carmen geben könne. Auch wenn man sofort die Unsinnigkeit des Klischees unterstreicht und beteuert, dass diese Stereotypen, wenn überhaupt, dann nur von ihr durchbrochen werden könnten: Elīna Garanča, die stolze, hochgewachsene Lettin und gefeierte Mezzosopranistin, ist derzeit nicht gut zu sprechen auf die Medien. Sie möchte gerne mal die Journalisten fragen, wie sie denn zu ihren Unsinnigkeiten, Vorurteilen und, ja, auch Lügen kämen. Lügen? Immer mache man sie zur Rivalin von Anna Netrebko, dabei seien sie eng befreundet! Die, zugegeben, abgeklärte Antwort: Divenrespektive Zickenkriege im Hochadel der Kunst erzielten nun mal eine größere Aufmerksamkeit als artige Freundschaften. Diese »Erklärung« will Garanča nicht gelten lassen. So wenig wie die Unverschämtheiten, die sie vor einigen Monaten offenbar in Wien erleben musste. Da lag sie vier Wochen lang krank wegen Überarbeitung im Bett, musste Vorstellungen an der Staatsoper absagen und gleichzeitig aus den Zeitungen erfahren, sie spiele die beleidigte Diva, nachdem ihr Mann, der Dirigent Karel Mark Chichon, nicht zum Gastdirigat eingeladen worden war!
Schon allein die Journalistenklatsche zeigt: Kühl und abgeklärt ist diese junge Blonde nicht gerade, Gott sei Dank. Genervt legt sie nach: Wieso soll eine Frau aus dem Norden kühl sein? Man solle mal während der »weißen Nächte« nach Riga reisen! Umgekehrt: Wieso müsse eine Carmen schwarzgelockt und dunkeläugig sein? Das sei ein typisch deutsches Vorurteil, das gerade in Spanien, wo sie derzeit lebe (nachdem sie Wien den Rücken gekehrt hatte), Schritt auf Tritt widerlegt werde. Es gibt, so belehrt sie vehement ihr Gegenüber, in jedem Land, ob in Deutschland, Russland, Spanien oder den USA, selbst in England, eine Begeisterung für »Gipsy« – auf je eigene Art. Was ja auch ihre neue CD beweist, die das »Habanera«-Image auf denkbar vielfältige Weise auffächert.
Wo liegt für Elīna Garanča die Faszination von »Carmen«, der nach wie vor meistgespielten Oper? Im Gefühlsrealismus, den Bizet auf ebenso einfache wie raffinierte Weise inszeniert?Garanča will die ganze Gefühlsachterbahn dieser Frau erleben und erleben lassen, Verführung, Sehnsucht, Hass, aber auch Mitleid. Den anarchistisch-zerstörerischen Aspekt der »freien«, in Carmen personifizierten Liebe kann sie allerdings nicht nachvollziehen, schließlich will der Verliebte doch immer das Beste seines Gegenüber, oder? Und der Sexappeal? Natürlich schmeicheln ihr derartige Komplimente, andererseits verärgert sie der Fokus auf ihr Äußeres: In Berlin, wo sie bislang zum ersten und einzigen Mal eine blonde Carmen gab, hätten die Kritiker nur ihre Frisur beachtet. Nicht Sexappeal, sondern Sensualität der Titelheldin sei ihr das Wichtigste. Die zahlreichen Pianissimo- Stellen ihrer Arien, die heute kaum noch beachtet würden, offenbarten ein höchst subtiles Innenleben. Im Übrigen habe das Hochziehen eines Rockes noch nichts mit Erotik oder Liebe zu tun, und überhaupt, was für den einen Sadomaso, das ist für den anderen ein romantischer Rosenstrauch. Auf jeden Fall aber bleibe Carmen für sie immer eine emanzipierte Frau, die sich ihre Liebhaber aussuchen (und wegschicken) kann. Sie selbst habe inzwischen alle (jüngeren) Startenöre unserer Zeit ausprobiert (natürlich als Don José). Und?! Wer war der Beste? Da lacht sie laut auf – und fügt, leider, diplomatisch hinzu: jeder – auf seine Art!
Christoph Braun, 11.01.2014, RONDO Ausgabe 4 / 2010
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