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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Albrecht Mayer

Franke frankophil

Regelmäßig kehrt der gebürtige Franke Albrecht Mayer nach Paris zurück, wo er einst vom Oboen- Papst Maurice Bourgue in die Kunst seines Instruments eingewiesen worden war. Jetzt ist Mayer wieder nach Paris gefahren, um sich für sein neues Album inspirieren zu lassen. Reinhard Lemelle hat sich mit ihm über die Musiknation Frankreich und über ihr leicht zwiespältiges Verhältnis zur Oboe unterhalten.

RONDO: Warum haben eigentlich nahezu alle bedeutenden Komponisten Frankreichs die Finger von der Oboe gelassen?

Albecht Mayer: Ich habe mir darüber auch das Gehirn zermartert, warum solche großen Komponisten wie Debussy, Ravel oder Fauré kein Hauptwerk für die Oboe komponiert haben.

RONDO: Und? Was vermuten Sie?

Mayer: Man könnte natürlich annehmen, dass die Oboe im 19. Jahrhundert einfach von der Klarinette abgelöst wurde. Aber ich glaube nicht daran. Schließlich sind ja in jener Zeit tatsächlich unglaublich viele französische Kompositionen für die Oboe entstanden. Vor allem für den Concours am Pariser Konservatorium, für den zahllose Werke für die bedeutendsten Virtuosen jener Zeit geschrieben wurden. Zwischen 1880 und 1950 wuchs so das Repertoire unglaublich an. Das wird niemand alles spielen können und natürlich auch nicht spielen wollen. Die Kompositionen sind nicht immer großartig, darunter findet sich sehr viel Salonmusik, sehr viel leichte Muße, sehr viele Paraphrasen.

RONDO: Im Gegensatz zu diesen Vielschreibern klafft aber eben bei der komponierenden Spitze eine riesige Lücke …

Mayer: Das ist schwer zu verstehen. Zumal gerade Debussy und Ravel die Oboe in ihren Orchesterwerken nicht nur sehr gerne eingesetzt, sondern sie in ihren technischen Möglichkeiten auch ausgereizt haben. Ich denke da etwa an Ravels »Daphnis und Chloé«. Das ist gerade das Verrückte – sie haben nicht en passant belangloses Zeug geschrieben, sondern die Oboe ganz minutiös instrumentiert. Sie konnten mit der Oboe sehr viel anfangen. Aber vielleicht lag es auch einfach daran, dass die Oboe zu jener Zeit eher mäßig klang. Das ist auch das einzige Argument, das ich gelten lassen kann.

RONDO: Ausgerechnet im eigentlichen Geburtsland der Oboe, in Frankreich, ging ihr zu jener Zeit klanglich die Puste aus?

Mayer: Da muss man schon etwas weiter zurückblicken. Die Blütezeit der Oboe war ja das Barock, wo sie das führende Solo-Instrument war. Da klang die Oboe immer sehr weich und rund, sehr sanft und schön. Wie eine menschliche Stimme mit sehr vielen Klangfarben. Das hat sich schon bei Mozart geändert, der Ton wurde durch technische Erneuerungen bereits etwas kleiner, spitzer, schärfer. Und das wurde um 1880 noch verstärkt, als die Komponisten die Tessitura des Instruments weiter vergrößern wollten: Da wurden Oboen gebaut, die – gelinde gesagt – gemein klingen. Hört man etwa ganz alte Oboenaufnahmen, klingt das doch sehr scharf, sehr dünn, ein bisschen aggressiv. Möglicherweise war das der Auslöser dafür, dass man sich eher der Klarinette, der Flöte und dem Saxofon zuwandte.

RONDO: Andererseits hat sich seitdem doch auch ein markant französischer Oboenklang entwickeln können …

Mayer: Um 1950 hat man vom deutschen Oboenklang gesprochen, der ein wenig massiver, schwerer, runder, dunkler und dicker im Ton war. In dieser Zeit war die Oboe in Frankreich eher hell, brillant, schlank, bisweilen aber eben auch dünn und spitz. Mittlerweile ist es genau umgekehrt. In Frankreich spielt man inzwischen sehr weich, sehr dunkel. Während in Deutschland der elegantere, brillantere Ton bevorzugt wird. Insofern ist auch die Musik von einer Art Globalisierung betroffen. Wenn man heute einen Oboisten hört, weiß man nicht mehr so recht, welche Schule er denn nun eigentlich durchgemacht hat. Ich jedenfalls bevorzuge einen runden, weichen und angenehmen Klang. Ähnlich wie meine beiden Idole Heinz Holliger und Maurice Bourgue, bei dem ich ja in Paris studiert habe.

"Wie wäre es gewesen, wenn Debussy oder Ravel ein Oboenkonzert komponiert hätten?"

RONDO: Nach Ihrer Kammermusik- CD »Le charme de la belle Époque« von 2003 haben Sie sich nun mit »Bonjour Paris« erneut ganz dem französischen Repertoire verschrieben. Und angesichts rar gesäter, erstklassiger Originalkompositionen mussten Sie wohl wieder aus der Not eine Tugend machen …

Mayer: Man wünscht sich natürlich als Musiker, als Solist, so viele Originalkompositionen wie möglich. Aber zumindest habe ich jetzt – neben den Bearbeitungen berühmter Stücke von Fauré, Satie und Debussy – drei Originalwerke mit der Academy of St. Martin in the Fields einspielen können, die das Kaleidoskop an Farben und die Virtuosität der Oboe widerspiegeln. Wie das schöne Oboenkonzert »L’horloge de flore« von Jean Françaix, das ich schon oft gespielt habe. Diese »Blütenuhr« kennt man aus dem Park. Pro Stunde hat man eine Blume, die blüht. Auch in der Nacht. Und diese »Blütenuhr « fängt das Oboenkonzert ein. Zudem bin ich bei Vincent d’Indys »Fantasie« hängengeblieben. Und ein befreundeter Kollege, der Schweizer Gotthard Odermatt, hat mir mit »Été« ein brandneues Stück auf den Leib geschrieben. Es ist ein sehr virtuoses Werk und im impressionistischen Stil geschrieben. Wir hatten die Idee: Wie wäre es gewesen, wenn Debussy oder Ravel ein Oboenkonzert komponiert hätten? Das sind natürlich große Schuhe – aber wir sagen ja nicht, dass es eindeutig nach Ravel klingen soll, sondern eher im Nimbus von Ravel oder Debussy steht.

RONDO: Anscheinend sind Sie nicht nur nach französischer Musik süchtig. Wie Sie mal zugegeben haben, schlägt Ihr Herz überhaupt für Paris.

Mayer: Man fühlt sich in Paris einfach in der Zeit zurückversetzt. Wenn man durch die einzelnen Quartiers flaniert, durch das Marais oder durch Saint-Germain-des-Prés, sieht es hier immer noch so aus wie vor 100 Jahren. Dieses Flair ist unvergleichlich und wunderschön. Zudem wissen die Franzosen gut zu leben und zu essen. Und dabei sieht man hier noch nicht einmal viele dicke Leute ...

Neu erschienen:

Bonjour Paris

Albrecht Mayer, Academy St. Martin, Mathias Mönius

Decca/Universal

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Der "Impressionismus" in der Musik

»Französische Musik, d. h. Klarheit, Eleganz, einfache und natürliche Deklamation. « In einem Interview mit »La Revue bleue« versuchte Claude Debussy 1904 noch einmal in aller Deutlichkeit sich von allen Versuchen zu distanzieren, ihn in die impressionistische Schublade zu stecken. Ohne Erfolg. Wer heute von impressionistischer Musik spricht, der macht immer noch Debussy zu ihrem ersten Aushängeschild – mit Maurice Ravel im unmittelbaren Windschatten. Schillernde Klangfarbenspiele, in denen Konturen und Formen sich auflösen und mal geheimnisvoll, mal verzaubernd die Tonpalette dominieren. So zumindest hörte man schon früh eine Musik, die offenbar die geistige Schwester jener gleichnamigen Kunstbewegung sein musste, die 1874 ihren Anfang genommen hatte – als Claude Monet eines seiner Gemälde mit dem Titel »Impression soleil levant« der Öffentlichkeit präsentierte. Statt nach allen akademischen Regeln etwa die Natur auf Leinwand zu bannen, machte man sich nun sein eigenes Bild von ihr. »Die Malerei«, so Van Gogh an seinen Bruder, »verspricht subtiler, musikalischer und weniger architektonisch zu werden; vor allem scheint sie sich in die Richtung der Farbe hin zu entwickeln.«
So sehr auch die klangfarblichen Reize der Musik Debussys oder Ravels schier unendlich zusammengesetzt erscheinen – von Obertoneffekten über Pentatonik bis hin zum spanischen Kolorit –, so benebeln sie doch nie die Sinne. Gerne führt man die »verschwommenen Tonmalereien« und »überparfümierten Sfumato-Effekte« in Debussys »Nocturnes« oder in Ravels »Gaspard de la nuit« als Beweisstücke eines »musikalischen Impressionismus« an. Doch den berühmten Franzosen war es um ganz Anderes zu tun: Es ging ihnen vielmehr um Aufsplitterungen und Umbelichtungen von klarsten, bis ins Grelle hinausgepressten Farben und Rhythmen, Linien und Formen. Und wer allein Ravels »La valse«-Apotheose hört, die er 1920 und damit in der vermeintlichen Hochblüte des »musikalischen Impressionismus« komponierte, der sollte diesem Etikett endgültig misstrauen.
Guido Fischer

Reinhard Lemelle, 11.01.2014, RONDO Ausgabe 4 / 2010



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