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RONDO: Herr Scholl, was ist denn eigentlich das »Orphische« bei Purcell?
Andreas Scholl: Er gehört zu den Komponisten, die mit geringsten Mitteln einen direkten Zugang zur Seele schaffen. Da fallen einem natürlich auf Anhieb solche Stücke wie die Abschiedsarie aus »Dido and Aeneas « ein. Die Arie wird zwar normalerweise von einem Mezzosopran gesungen. Aber zum Glück gibt es ja keine Stil-Polizei, die mir einen Strafzettel ausstellt, bloß weil ich jetzt ein Stück singe, das nicht für Countertenor komponiert worden ist. In der Arie geht es schließlich um das rein Menschliche: Da nimmt jemand Abschied in einer ganz tragischen Situation. Und das ist ein universelles Gefühl, das jeder kennt und das man in jeder Stimmlage ausdrücken kann. Purcell hatte wie Händel eben nicht nur das kompositorische Genie, sondern auch diese Seelenqualität. Und genau das könnte man unter »Orpheus Britannicus« verstehen.
RONDO: In seinem Vorwort zum Sammelband »Orpheus Britannicus« hatte ja einst der Verleger Henry Playford besonders Purcells Gespür für den Rhythmus der Sprache herausgehoben. Wie geht der Interpret damit um?
Scholl: Der Sprechrhythmus muss immer natürlich bleiben und darf nichts Künstliches besitzen. Die Authentizität in der Musik besteht darin, dass ich da Dinge wahrnehme, die ich aus meinem eigenen Leben kenne. Die Musik muss unmittelbar kommunizieren und wirken.
RONDO: Unter den berühmten Songs wie »Music for a While« taucht auch der »Cold Song« aus Purcells »King Arthur« auf, den Sie Klaus Nomi gewidmet haben – diesem exzentrischen Pop-Countertenor, der 1983 an Aids gestorben ist …
Scholl: Tatsächlich habe ich den »Cold Song« zum ersten Mal von ihm gehört, als erstaunlicherweise ein Privatsender jeden Abend zum Sendeschluss Klaus Nomis Version spielte. Es gibt zudem auf YouTube ein Video von Klaus Nomi in einer französischen Fernsehshow. Nomi betrat da ganz steif in seinem Kostüm und mit seinem Make-up die Bühne – und sang diesen Song mit eiserner Intensität. Das Publikum explodierte danach. Was natürlich an der Musik lag, aber auch an diesem Sänger. Er war ein großer Künstler, der nie die Chance hatte, sein ganzes Potenzial zu entwickeln.
RONDO: Auf Ihrem Album singen Sie auch einige Duette mit Ihrem Kollegen Christophe Dumaux. Auf eine kleine Purcell-Tournee gehen Sie demnächst aber mit Philippe Jaroussky. Steht da ein Duell zwischen zwei Counter-Titanen bevor?
Scholl: In der Counter-Szene kennt man sich ja untereinander. Und das Schöne ist, dass sich die Kollegen mögen und da niemand rumzickt. Philippe und ich sind uns immer wieder begegnet. Er ist einfach ein toller Kollege. Für mich ist es überhaupt wichtig, dass man sich als Musiker nie an denjenigen orientiert, die weniger gut sind. Man muss sich immer mit den Besten messen – nicht im Wettstreit.
RONDO: Wir befinden uns hier ja mitten im Rheingau und damit im Paradies für alle Fans des deutschen Rieslings. Wie würden Sie – durchs Glas und die Blume betrachtet – die Musik Henry Purcells beschreiben?
Scholl: Wenn man bei einem Wein genau hineinschmeckt, kann man zwar seine einzelnen Elemente entdecken. Doch sie alle sollten sich zu einem harmonischen großen Ganzen verbinden. Es ist wie in der Musik und gerade bei Henry Purcell so – er ist ein komplexer Wein, der doch eine ungemeine Harmonie in sich trägt.
Guido Fischer, 04.01.2014, RONDO Ausgabe 5 / 2010
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