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Fünf Jahre »Boy-Karriere«. Auf dem Cover der Sopran-CD, die von damals übrig geblieben ist, steht er mit Kräusellocken ungläubig blickend in den Smoky Mountains. Daneben das Lob von Leonard Bernstein: »Die Reife und der Reichtum des musikalischen Verständnisses bei diesem Knaben sind kaum zu glauben.« Vor 27 Jahren war das. Dazwischen liegen Jahre, in denen Bejun Mehta las, Cello spielte, als Schallplattenproduzent arbeitete und auch nicht so recht weiter wusste. Wenn man ihn heute fragt, sagt Bejun Mehta: »Ich bin derselbe Sänger wie früher. Mit derselben Stimme.«
Zurück zur CD brachte den heute 42-Jährigen der Dirigent René Jacobs. Er empfahl ihn zu harmonia mundi und fungierte erstmals seit langem als Begleit-Dirigent. Hat sich gelohnt. Mit Bejun Mehta präsentiert sich der erste opernhaft dramatische Händel-Countertenor seit David Daniels. Also der erste unverwechselbare Opern-Countertenor seit langem. Was soll das bedeuten? »Man muss ein guter Schauspieler sein wollen«, meint Mehta. Die Stimme: ein expressiver Abdruck von Zielen, Wünschen und schönen Irrtümern. Nicht nur blankes, ebenmäßiges Material.
Der exotische Strahlemann, der uns zum Interview entgegen stürmt, bewältigt an diesem Tag einen Medien-Rummel, wie er es seit Kindertagen nicht erlebt hat. Kürzlich ist er nach Berlin-Prenzlauer Berg gezogen. Im Café um die Ecke, das er für die Interviews vorgeschlagen hat, wechselt er oft den Tisch. Die Kellner sollen nicht merken, was dieser Stammgast beruflich macht. Die Frage nach seinem berühmten Verwandten Zubin Mehta ist er längst gewohnt. Dessen Vater und Bejuns Großvater waren Brüder. Das Familienleben beschränkt sich weitgehend darauf, dass Zubin Mehta für seinen Großneffen zuweilen Händel und Mozart dirigiert.
Der heutige Durchbruch kam spät. Erst 1997, da war er fast 30 Jahre alt, entdeckte Bejun Mehta die Fähigkeit, mit der Stimme hinauf bis in die hohen Frauenregister zu steigen. Wenige Countertenöre machten damals in Amerika von sich reden. Aber es gab sie. Brian Asawa zum Beispiel. David Daniels hatte seinen Durchbruch als US-Star noch vor sich. Sieben Jahre hatte Bejun damals nicht mehr gesungen. Wie so oft war aus dem Knabensopran ein Bariton geworden. Frühzeitig hatten ihm die Eltern gesagt: »Du musst dir ein Instrument suchen, wenn du weiter Musik machen willst.« Da hatte er mit Cello angefangen. Und an der Yale University ein Studium der deutschen Philologie.
»Ich dachte, Musik habe ich schon, nimm was anderes!« Die deutsche Literatur liebte er ohnehin, besonders Schillers Shakespeare-Übersetzungen und die wenigen Gedichte von Heinrich Böll. Tatsächlich reizt ihn bis heute an der Oper vor allem die Verbindung von Musik und Literatur. Stilistisch bezeichnet er sich als Belcanto-Fan. »Als Belcanto-Sänger würde ich freilich auch Christa Ludwig und Fritz Wunderlich bezeichnen. Großartig! Und natürlich Juan Diego Flórez.«
Anfangs hatte ihm seine Mutter das Singen gezeigt. »Wenn du den ganzen Satz, den du singen willst, schon im Kopf hast, wirst du weniger Luft brauchen«, sagte ihm die ehemalige Sopranistin. Mit 16 zog er aus, ohne traumatisiert zu sein durch die Knabensopran-Karriere.
Die neue CD, von René Jacobs und dem Freiburger Barockorchester eruptiv schön begleitet, besticht durch Tonschönheit, Temperament und jenen gewissen ’Peng’, den nur echte Opern-Countertenöre beherrschen. Neben bekannten Händel- Arien aus »Agrippina«, »Rodelinda« und »Radamisto« sind entlegenere Werke wie »Sosarme« »Riccardo Primo« und »Amadigi di Gaula« vertreten. Jacobs dirigierte, was von ihm gewünscht wurde.
Von den vier Schallplatten übrigens, die Bejun Mehta als Kind aufnahm, sind drei niemals auf CD erschienen. Sie waren Verkaufshits. Hätte man bessere Verträge abgeschlossen, so sinniert Bejun, wäre er heute ein reicher Mann. »Typischer Anfängerfehler«, knirscht er. Das wird ihm so schnell nicht wieder passieren.
Robert Fraunholzer, 04.01.2014, RONDO Ausgabe 6 / 2010
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