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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Harald Hoffmann

Berliner Philharmonie

Der helle Klang

Vor 50 Jahren wurde der Scharoun-Bau eingeweiht. Ein Blick mit Tonmeister Christoph Franke hinter die Kulissen und in die Akustikstudios.

Stellen wir doch mal eines klar. Auch wenn die Berliner Philharmonie im 50. Jahr ihres Bestehens nur Bestnoten bekommt und nach wie vor als wichtigster und modernster Saal unserer Zeit gefeiert wird: Das war nicht immer so. Als am 17. Oktober 1963 im Schatten der Mauer der später als „Zirkus Karajani“ titulierte Zentralbau nach den Zerstörungen des zweiten Weltkriegs auf dem leergeräumten, als neues „Kulturforum“ imaginierten Potsdamer Platz eröffnet wurde, da war der Sturm der Kritiker groß und schrill.
Auch in Hans Scharouns so demokratisch tönendem Weinberg mit seinen gestaffelten Zuschauerterrassen, wo keiner mehr als 30 Meter vom Orchester weg sitzt und der Dirigent auf dem tief gelegten Orchesterpodium die Mitte des Raumes markiert, musste später einiges nachjustiert werden, bis alle zufrieden waren. Das Podium wurde umgebaut und vergrößert, fahrbar gemacht, es wurden zudem Akustiksegel aufgehängt, die heute den hippen Sixties- Charakter des asymmetrischen und trotzdem harmonischen, schlichten und doch festlichen Saales unterstreichen.

Kaninchenstalldraht und Putz

Einen weiteren Akustikkrieg gab es, so erinnert sich Christoph Franke – Tonmeister in der Philharmonie und Klangverantwortlicher ihres virtuellen Pendants im Netz, der Digital Concert Hall mit ihren bereits über 200 archivierten Konzerten –, als Anfang der Neunzigerjahre ein Teil der abgehängten Decke herabstürzte. Man entdeckte, dass die eigentlich nur aus Kaninchenstalldraht und Rabitzputz bestand und wundert sich bis heute, dass sie noch nicht früher herunterkam. Als alles repariert war, mokierten sich manche über die grellere, härtere Akustik. „Das lag aber wohl hauptsächlich an der Beleuchtung, die war nämlich heller eingestellt“, lacht Franke. So viel zum subjektiven Eindruck des Hörens. Obwohl Franke natürlich ganz objektiv zugibt, dass es einige Plätze im Hause gibt, wo man nach wie vor Flatterechos hört, oder falsche Entfernungen. Nobody is perfect, nicht einmal einer der nach wie vor vollkommensten Konzertsäle der Welt.
Ein Konzertsaal, in dem trotzdem anfangs nur wenig aufgenommen wurde, obwohl es eigentlich gleich zwei Tonstudios gab: eines für die Radioübertragungen und ein leeres für die Plattenfirmen, wo die jeweils mit allem Equipment anrückten. Tatsächlich entstanden die meisten CD-Aufnahmen dann doch in der modernen Jesus- Christus-Kirche in Dahlem, die heute noch gern genutzt wird. Denn auch damals war in der teuren Halle ein stetes Kommen und Gehen, man musste für die Konzerte immer wieder umbauen, im Villenvorort hatte man es leichter. Und länger als die fünf Tage bis zum nächsten Gottesdienst brauchte man selten.

3 Stunden Mikrofoneinstellung

Vierzig Mikrofone hängen als ferngesteuerter Kabelwald über dem Podium, erklärt Christoph Franke. Etwa drei Stunden müssen die vor jeder Konzertund jeder Studioaufnahme eingerichtet werden – nachdem sich der Tonmeister in einer Probe über die Orchesteraufstellung informiert hat. Die ist heute längst nicht mehr so festgezurrt wie früher, wo man höchstens in amerikanischer oder deutscher Sitzordnung saß. Dirigenten wie Simon Rattle wollen es heute subtiler, schieben die Pauken mal in die Mitte, mal an den Rand, platzieren die Kontrabässe rechts vorn oder links hinten, je nachdem welches Repertoire gefragt ist.
Viele Künstler und Orchester vertrauen heute dem Tonmeister, es wird ja auch viel mehr aufgenommen in immer weniger Stunden, da ist meist nicht Zeit für große Akustikexperimente. Dabei machen manchmal schon zehn Zentimeter Mikrofonabstand beim räumlichen Hören sehr viel aus, sagt Franke. Zwischen den verschiedenen Rundfunkanstalten wird heute nicht mehr so viel hin und her gebaut, es sei denn, ein Produzent besteht auf einer ganz eigenen Hörästhetik. Selbst die Plattenfirmen, die nur noch ihre Mikros mitbringen, aber meist das 2005 komplett erneuerte und um 180 Grad gedrehte Tonstudio über der Ehrentribüne nutzen, sind heute viel unkomplizierter. Man nimmt ja meist sowieso Proben und Konzerte auf, und dann gibt es noch eine Patch-Session ohne Publikum, in der geputzt wird, Übergänge oder von Hustern überdeckte Stellen noch einmal wiederholt werden. Im zweiten Studio hat sich deshalb heute das Videoteam der Digital Concert Hall eingenistet, „da geht es laut zu“, so Franke, „da hört man kaum was“. Deswegen wird der Ton ebenfalls vom Hauptstudio gegenüber gefahren.
Etwas mehr Zeit war kürzlich, als die Philharmonie der Aufnahme- Raum für die erste Begegnung zwischen Simon Rattle und Lang Lang war. Da hatte dann auch der Klavierstimmer richtig zu tun, denn der chinesische Turbopianist, der mit dem 2. Klavierkonzert von Béla Bartók und dem 3. von Sergei Prokofjew zwei motorische Schwergewichte des Repertoire ausgewählt hatte, wollte „einen extrem metallischen, harten Klang“, analysiert Christoph Franke. „Ich war erst etwas skeptisch, doch der hat mir versprochen, er würde ganz zart und sanft spielen. Und so war es dann auch. Trotzdem hörte man ihn sehr gut in den turbulenten, knalligen Orchestertutti. Da hatte einer seine klanglichen Hausaufgaben wirklich gemacht. Das ist eher selten“, lobt der Tonprofi anerkennend.

Sergei Prokofjew, Béla Bartók

Klavierkonzerte

Lang Lang, Berliner Philharmoniker, Simon Rattle

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Tagebuch einer CD-Aufnahme:

Sergei Prokofjew

"At The Highest Level" (Dokumentarfilm von Christian Berger)

Lang Lang, Berliner Philharmoniker, Simon Rattle

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Blick in’s Getriebe

Motorischer Witz, Maschinenrhythmik, das ist von Lang Lang zu erwarten, wenn er als Tastenteufel loszaubert. Doch der chinesische Pianist mit der unfehlbaren Technik kann auch anders. Für seine erste Aufnahme mit Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern hat er Tom und Jerry sowie alle anderen Cartoon-Flitzer, die ihm sonst gern ästhetisches Vorbild sind, in der Schublade gelassen. Er findet im 3. Konzert von Prokofjew und im 2. von Bartók bei aller Rasanz und Forte- Härte zu einer nonchalanten Gelassenheit und souverän ausbalancierten Eleganz, die man durchaus als sophisticated bezeichnen kann. Auch Rattle und die Seinen lassen zwar die Dynamik-Anzeiger ausschlagen, das aber mit Delikatesse und Geschmack. Eine DVD-Dokumentation lässt den Zuschauer einmal in’s aufwändige Getriebe einer hochrangigen CD-Aufnahme blicken.

Matthias Siehler, 30.11.2013, RONDO Ausgabe 6 / 2013



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