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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Jazz­-DVDs

Das Jazz-Ereignis dieses Jahres ist ohne Zweifel der Dokumentarfilm „Jazzlegende Wayne Shorter“, in der Regie von Guido Lukoschek, der Ende August auch auf arte ausgestrahlt wurde. Nun ist die DVD direkt beim Label erhältlich (www.avindependents.com). Ganz ohne Rückblenden führt die Dokumentation unmittelbar in die Magie des großen Saxofonisten. Ein kongenialer Kunstgriff macht es möglich: Lukoschek hat den Altmeister und sein Quartett im vergangenen November in der Pariser Salle Pleyel bei Konzertvorbereitungen und dem Konzert selber gefilmt und die eindrücklichen Aufnahmen dann dem Meister und seinen Mitspielern vorgeführt. Diese Vorführung und der intensive Nachvollzug mit subtilen und luziden Kommentaren der Beteiligten sind Gegenstand der Dokumentation. Ergänzt werden sie mit Statements von Shorters Frau und seinem alten Freund und Kollegen Herbie Hancock. Der Betrachter wird quasi in die besondere Vertrautheit der Kommunikation der Beteiligten hineingenommen und erlebt direkt, was es mit Shorters Konzept der zero gravity auf sich hat, also seinem Ansatz, nichts Vorgefertigtes vorzuführen, vielmehr die Kreativität ungehemmt fließen zu lassen. Das ist ungeheuer spannend und berührend – und kommt zur rechten Zeit; Shorter wurde im August bereits achtzig.

Ein ähnlich gelungenes Künstlerporträt ist „Renaud García-Fons: Beyond The Double Bass“ (Enja/Soulfood). Die CD enthält repräsentatives und zum Teil noch unveröffentlichtes Material aus der Karriere des Ausnahmebassisten, und die ausführliche DVD nähert sich mit Konzertausschnitten und Interviews der besonderen Kunst dieses Solisten, der einmalig virtuos Jazz und Weltmusik aus dem Geiste des Flamencos auf seinem fünfsaitigen Instrument spielt. Kollegen kommen zu Wort, so der Kontrabassist Barre Phillips und der Flamenco-Meister David Peña Dorantes, aber auch Kritiker und Produzenten. Besonders aufschlussreich aber sind die Einlassungen seines Instrumentenbauers. Fast alle sprechen sie Französisch, doch die aus Englisch, Deutsch und Spanisch auswählbaren Untertitel garantieren das Verständnis.

Mit einem langen Interview-Kapitel geht „Miles Davis: Live At Montreux 1991“ (Eagle Rock/edel) ebenfalls über das Format des gefilmten Konzertes hinaus. Es handelt sich dabei um die Auskoppelung des Konzertes mit den legendären Gil-Evans-Arrangements unter der Leitung von Quincy Jones aus der umfangreichen „Miles Davis At Montreux“ DVD Box. Im größer werdenden Abstand zum Schwanengesang des Prince Of Darkness erscheint sein Auftritt in einem milderen Licht. Als reines Audiodokument fällt die Aufzeichnung des erlesenen Programms aus „Birth Of The Cool“, „Miles Ahead“, „Porgy and Bess“ und „Sketches Of Spain“ hinter der Einmaligkeit der Originalaufnahmen schlicht ab. Aber es ist etwas Besonderes um diese LiveDarbietung. Drei Monate vor seinem Tod tut Davis etwas, was er nie sonst tat; er wendet sich der Vergangenheit zu und setzt dem Freund Gil Evans mit dem in einem Konzert fast nie aufgeführten Material ein KonzertFilm-Denkmal. Faszinierend wie er, trotz erkennbarer Schwächen in seinem Ansatz, allein mit seinem Ton dem riesigen Klangapparat die Aura seines Sounds verleiht, und wie er seinen jungen Kollegen Wallace Roney in einer herzlich strahlenden Verbundenheit als seinen Nachfolger inthronisiert. Von Festival-Gründer Claude Nobs gibt es heiter Anekdotisches, von der Kollegin Helen Merill eine interessante, aber fragwürdige Erklärung für seinen letzten Stilwandel, und Betty Carter, die alte Freundin, weiß sehr viel, verschweigt aber noch mehr.

Die Scheibe „Neil Cowley Trio: Live At Montreux 2012“ (Eagle Rock/edel) dagegen ist reines Konzertkino. Der englische Pianist Neil Cowley ist eine Art Pendant zu Martin Tingvall. Mit herabgelassenen Hosenträgern ist er eine Art Rampensau am Flügel. Vertrackte Grooves und repetitiv gehämmerte eingängige Motive steigern sich zu Cinemascope-artiger Apotheose über die Bandbreite der Tastatur. Ein eigens zusammengestelltes Streichquartett ist geschickt – und weit mehr denn nur als Staffage – in das Geschehen integriert.

Thomas Fitterling, 02.11.2013, RONDO Ausgabe 5 / 2013



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