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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Harald Hoffmann

Anne­-Sophie Mutter

Leidenschaftliches Kräftemessen

30 Jahre nach ihrer letzten gemeinsamen CD interpretieren Anne-­Sophie Mutter und die Berliner Philharmoniker nun Dvořák.

RONDO: Kaum zu glauben, aber das Violinkonzert von Dvořák ist Ihre persönliche Ersteinspielung. Warum hat es mit diesem Werk so lang gedauert?

Anne-Sophie Mutter: Ich weiß auch nicht. Es haben sich in den letzten Jahren einfach immer wieder Uraufführungen dazwischen geschoben, wofür ich natürlich sehr dankbar bin. Vor allem, dass ich die meisten davon auch aufnehmen durfte. Aber dadurch musste Dvořák eben immer hinten anstehen. In den letzten drei Jahren habe ich das Konzert nun aber wieder so oft gespielt, dass es auch in meinem Gefühlsleben eine derartige Präsenz gewonnen hat, dass egal, was sich hätte dazwischen schieben wollen, ich es nicht mehr zugelassen hätte.

RONDO: War es schwierig auszuwählen, welche Werke man auf das Konzert folgen lässt?

Mutter: Überhaupt nicht! Die „Romanze“ war schon immer eines meiner Lieblingsstücke und übrigens auch das erste Werk von Dvořák, das ich als Kind gehört habe. Ich weiß noch, wie mich meine Eltern damals zum Unterricht gefahren haben und wir diese Kassetten mit Aufnahmen von Josef Suk im Auto hatten. Darunter eben auch die sehr elegische „Romanze“, die ich immer wieder hören wollte und die dann auch das erste Stück von Dvořák war, das ich selbst gespielt habe. Das „Mazurek“ ist dagegen ein sehr virtuoses Stück, das ich darauf als Kontrast folgen lassen wollte. Und über die „Humoreske“ muss man, glaube ich, nichts mehr sagen, sie ist gewissermaßen die Essenz Dvořáks und in ihrer Schlichtheit und Schönheit fast nicht zu überbieten.

RONDO: Die Entstehungsgeschichte des Dvořák-Violinkonzerts ist eine sehr bewegte. Können Sie nachvollziehen, warum der Widmungsträger Joseph Joachim sich vor der Uraufführung zurückzog?

Mutter: Welche Ohrfeige, es zweimal auf der Probe zu spielen und dann abzugeben! Das ist an mangelnder Diplomatie eigentlich nicht zu überbieten. Es gibt verschiedene mögliche Erklärungen. Joachim hatte ja gerade kurz davor das Brahms-Violinkonzert mit großem Erfolg uraufgeführt und, wie ich das aus meinem Leben auch kenne, in Folge wahrscheinlich sehr oft gespielt und sich dafür eingesetzt, es in Europa populär zu machen. Und wenn ich mir anschaue, wie viel Zeit ich zum Beispiel mit Sofia Gubaidulinas „In Tempus Praesens“ verbracht habe, kann ich mir schon vorstellen, dass er in der Phase vielleicht einfach den Kopf nicht frei hatte, sich gleichzeitig noch einmal einem anderen großen Werk zu widmen.

RONDO: Wobei Joachim ja nicht der einzige war, der Bedenken gegenüber der starken Orchestrierung geäußert hat.

Mutter: Die Orchestrierung ist sicher eine Herausforderung für die Interpreten. Gleichzeitig liegt darin aber auch ein sehr interessantes ästhetisches Moment, nämlich das des leidenschaftlichen Kräftemessens zwischen Solist und Orchester. Die Geige schwebt eben nicht immer schwerelos über dem Orchester, sondern muss sich auch durchsetzen. Wogegen auch gar nichts zu sagen ist, wenn man daneben auch diese ganzen liedhaften Passagen im Piano vortragen kann.

RONDO: Mit Manfred Honeck hatten Sie hier einen Dirigenten, der ebenfalls als Geiger begonnen hat. Bringt das eine andere Basis für die Zusammenarbeit mit sich?

Mutter: Es bringt sicher gewisse Vorteile, ist aber nicht unbedingt notwendig. Wenn ich zum Beispiel an meine Arbeit mit Karajan denke, der als Geiger überhaupt keine eigene Erfahrung hatte und einen gewissermaßen aus der Vogelperspektive in Interpretationsgefilde hineinmanövriert hat, die man als technisch befangener Streicher vielleicht nicht angegangen wäre.
Man muss also nicht zwangsläufig Instrumentalist gewesen sein, um ein guter Begleiter zu werden. Bei Manfred Honeck kommt das sehr positiv zum Tragen, aber eben auch deswegen, weil er einfach über eine hervorragende Schlagtechnik verfügt. Dazu kommt bei uns beiden, dass wir immer miteinander atmen und gemeinsam phrasieren, quasi gemeinsam empfinden. Gerade dadurch kann man am Abend sehr spontan spielen, weil man immer genau spürt, wo der andere hin will.

RONDO: Einen gemeinsamen Live-Auftritt mit dem Dvořák-Konzert konnte man auch in der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker nachhören. Haben Sie Angst vor Vergleichen mit der Studio-Aufnahme?

Mutter: Wieso? Bei Monet würden Sie ja auch nicht ein Wasserlilien-Bild mit dem anderen vergleichen. Jedes ist über das gleiche Thema, steht aber für sich allein. Außerdem haben wir die CD auch beinahe unter Live-Bedingungen produziert. Bei unserem letzten Durchlauf hatten wir auf einmal noch 40 Minuten Zeit und ich habe dem Orchester gesagt, jetzt oder nie! Jetzt müssen wir spielen, als ob es kein Morgen gibt. Und diese Aufnahme war dann tatsächlich die Basis für die CD. Ich versuche, auch Studioaufnahmen immer wie ein Konzert anzugehen. Technische Perfektion ist dabei natürlich angestrebt, aber am Ende des Tages nicht das Entscheidende. Der musikalische Fluss muss stimmen. Genauso, wie ich inzwischen Falten habe, kann dann auch ein kleines Saitengeräusch stehenbleiben. Das Leben hinterlässt eben Spuren, und das ist auch gut so.

Antonín Dvořák

Violinkonzert a-Moll, Mazurka e-Moll, Romanze f-Moll u.a.

Anne-Sophie Mutter, Berliner Philharmoniker, Manfred Honeck

DG/Universal

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Wählerischer Widmungsträger

Der Geiger Joseph Joachim (1831–1907) zählte zu den einflussreichsten Künstlern seiner Zeit. Komponisten wie Schumann, Brahms, Bruch oder Dvořák schrieben Werke, die speziell auf ihn zugeschnitten waren. Doch zeigte sich der Musiker dabei durchaus wählerisch. Dvořáks erste Fassung seines Violinkonzerts sandte Joachim mit zahlreichen Änderungswünschen zurück, woraufhin der Komponist das Werk noch einmal umarbeitete. Zu einer öffentlichen Aufführung durch den Widmungsträger Joseph Joachim sollte es dennoch nicht kommen. An seine Stelle rückte stattdessen František Ondříček, der das Konzert bei der Foto: Joseph Joachim Prager Uraufführung 1883 zum triumphalen Erfolg führte.

Tobias Hell, 28.09.2013, RONDO Ausgabe 5 / 2013



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