Startseite · Interview · Gefragt
Wenn zwei wort- und gedankengewaltige Widersacher sich streiten, freut sich die Öffentlichkeit. So auch 1982, als der wohl letzte große Showdown in der Neuen Musik-Szene ausgefochten wurde. Gegenüber standen sich mit Hans Werner Henze und Helmut Lachenmann zwei deutsche, fast gleichaltrige Komponisten. Und beide hatten entschieden gegensätzliche Vorstellungen davon, welche Rolle die Musik in der Gegenwart spielen soll. Mit schwerem Verbalgeschütz ging man damals aufeinander los. Knapp 30 Jahre später nun haben sich die beiden Streithähne zwar nicht wieder lieb, doch darf man es wohl zumindest als kleine Geste der Versöhnung interpretieren, dass der Ultra-Avantgardist Lachenmann mittlerweile mit dem Henze-Schüler Matthias Pintscher eng befreundet ist. Zumal Lachenmann mit Pintscher einen Komponisten schätzt, der sich schon immer aus allen Grabenkämpfen rausgehalten hatte: »Komponisten, die Schulen um sich scharen, finde ich gefährlich.«
Die selbstgesteckte Offenheit, die aus Pintschers Warnung spricht, hat sich in seinem Fall mehr als ausgezahlt. Seit seinen ersten Sinfonien, die er als 18-Jähriger komponierte, ist er die Karriereleiter rasend schnell hinaufgestürmt. Wobei zu Pintschers Auftraggebern inzwischen nicht nur die Pariser Bastille-Oper oder die Berliner Philharmoniker zählen. Abseits des hochdotierten Establishments, auf Insider-Festivals für Neue Musik, ist der in Marl geborene Pintscher präsent geblieben. Und 2003 widmete die Frankfurter Oper ihm gar ein Symposium, auf dem prominente Musikfachleute das Werk des damals erst 32-Jährigen puderten.
Natürlich gibt es noch Stimmen, die die Popularität des Jetsetters Pintscher kritisch sehen (in seiner Wahlheimat New York ist er seit 2010 Kompositionsprofessor). Angesichts seiner Bandbreite von Mahler- und Strauss- Reminiszenzen bis zur erratischen Sprödigkeit stempeln sie ihn dann schon mal zum musikalischen Wendehals. Hinter seiner handwerklich souveränen Synthese der Historie mit der Gegenwart steckt aber eben eine suggestive Mehrdimensionalität und Abgründigkeit, die tatsächlich einen typischen Pintscher-Ton besitzt. Und über den eigenen Ton eine eigene Sprache zu finden, ist so ziemlich das Höchste, was ein Komponist erreichen kann.
Auf dem guten Weg dahin ist inzwischen auch Thomas Adès. Wie Pintscher feiert der gebürtige Londoner 2011 seinen 40. Geburtstag. Und wie sein deutscher Kollege wurde er mit dem renommierten Paul-Hindemith- Preis ausgezeichnet. Obwohl beide schon früh als reife Jungtalente für Gesprächsstoff gesorgt haben, gibt es in ihrer Biographie dennoch zwei Unterschiede. Adès hat bereits mit dem Grawemeyer Award den Nobelpreis für klassische Musik samt fettem Scheck eingeheimst. Zudem musste er sich im entspannten englischen Musikklima nie Gedanken machen, ob er mit seinen postmodernen Sounds irgendwelchen Hardlinern auf die Füße treten wird.
Kein Wunder, dass Adès daher sofort dick ins Geschäft einsteigen konnte. Schon mit Mitte Zwanzig fand er im Branchenriesen EMI einen dankbaren Abnehmer für seine ersten Kompositionen. Und mit Dirigent Simon Rattle hat Adès seit 1997 genau diesen prominenten Bewunderer und Förderer, den man braucht, um auch in der Berliner Philharmonie anzukommen. Adès‹ gewinnbringendes Allround-Rezept ist dabei stets ein klangerfindungsreicher Eklektizismus, der von Barock bis Pop, von Strauss bis Jazz reicht. Schließlich, so Adès‹ musikalisches Credo, hat »niemand das letzte Wort«. Was wohl auch der Anti-Dogmatiker Pintscher unterschreiben würde.
Guido Fischer, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 1 / 2011
Luxus in der DNA
2021: Der Phono-Markt wird von drei großen Klassik-Labels beherrscht … der gesamte Markt? Nein! […]
zum Artikel
Als unlängst die jüngsten Auslastungszahlen des Dortmunder Stadttheaters veröffentlicht wurden, […]
zum Artikel
Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion
An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.
Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.
Der Komponist Giacomo Orefice (1865–1922) wuchs in einer jüdischen Familie im norditalienischen Vicenza auf und ist vor allem für sein Opernschaffen bekannt. Auch als Pädagoge macht er sich einen Namen, sein berühmtester Schüler war der Filmkomponist Nino Rota. Orefices bekanntestes Musiktheaterwerk ist „Chopin“, für das er die Klavierwerke des polnischen Komponisten orchestrierte. Seine eigene Klaviermusik umfasst überwiegend romantische Charakterstücke, die von Gedichten, […] mehr