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N° 1354
20. - 26.04.2024

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am 27.04.2024



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Augenmusik

Bachs »Kunst der Fuge« in vier Neueinspielungen

Johann Sebastian Bachs bereits Anfang der 1740er Jahre begonnene »Kunst der Fuge« BWV 1080 ist polyphone Gedankenarbeit in höchster Form. Gleichzeitig hat dieser ungemein verzwickte Torso aber immer auch zu Mythen und esoterisch angehauchten Deutungen verleitet. Zumal nach Bachs Tod die Nachlassverwalter um Sohnemann Carl Philipp Emanuel diesem Fugen-Zyklus sofort schöne Geschichten anhängten, die im Nachhinein die rechte Würdigung noch erschwerten. Kein Wunder, dass irgendjemand angesichts der Legenden und Rätsel einfach mal reinen Tisch machte – und »Die Kunst der Fuge« als ›Augenmusik‹ deklarierte, deren Sinn und Größe sich nur durchs intellektuelle Notenlesen vermittelt.

Glücklicherweise machen sich aber weiterhin Musiker ihren eigenen Reim auf die vierzehn Fugen und vier Kanons. Und auch wenn man sich inzwischen in der Forschungsgemeinschaft darauf geeignet hat, dass Bach sein Fugen-Vermächtnis wohl für Tasteninstrumente gedacht haben muss, hält man sich selbst innerhalb der Originalklangbewegung nicht streng daran. Wie die Berliner Akademie für Alte Musik, die bei ihrer Neueinspielung der reinen Lehre ein Schnippchen geschlagen hat. Zugunsten einer sinnlichen Erlebniswelt, die nach reichen Farben in allen Variationen verlangt. Und so kommt es nicht nur zu einem Dialog zwischen Orgel, Cembalo, kammermusikalischer Intimität und raumgreifenden Orchester-Fassungen einzelner Fugen. Die Hauptstadt-Musikanten wischen jegliche akademisch wirkende Klangrhetorik zur Seite, um die Kunstfertigkeit Bachs mit Leben zu füllen und ihr mitreißenden Atem einzuhauchen. Und so sorgen allein die Holzbläser im Contrapunctus Nr. 9 für einen leicht swingenden Drive, während die 6. Gegenfuge schon fast französisch-royale Würde besitzt. Und wie man sodann das Stimmengeflecht der unvollendeten Fuge wie eine anmutige Aria auskostet, sorgt für Seelenbalsam und Gänsehaut gleichermaßen (harmonia mundi HMC 902064).

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Die klangreligiöse Aura sowie die ungeheure Modernität von Bachs »Kunst der Fuge« deutet die Akademie für Alte Musik bereits auf dem CD-Cover mit einem im Stil Piet Mondrians gestalteten Kirchenfenster an. Wie anders zeigen sich die Glaskonstruktionen des Architekten Tadao Ando, mit denen er eine Ausstellungshalle aus Beton und Stahl eingerahmt hatte, die in Neuss auf einer ehemaligen NATO-Basis steht. In diese lichtdurchflutete Architektur zog 2007 Musica Antiqua Köln ein, um seine über dreißigjährige Ensemblegeschichte mit der »Kunst der Fuge« zu beenden. Mit dabei war Regisseur Enrique Sánchez Lansch, der nicht nur diese letzte Sternstunde der sich um Reinhard Goebel versammelten Damen und Herren für die DVD dokumentierte. Die für Streichquartett eingerichtete Version korrespondiert spannungsvoll und beschwingt mit den Licht- und Schattenwegen in dieser geometrisch angelegten Musikkammer (Berlin Classics/Edel 0016758BC).

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Die klangreligiöse Aura sowie die ungeheure Modernität von Bachs »Kunst der Fuge« deutet die Akademie für Alte Musik bereits auf dem CD-Cover mit einem im Stil Piet Mondrians gestalteten Kirchenfenster an. Wie anders zeigen sich die Glaskonstruktionen des Architekten Tadao Ando, mit denen er eine Ausstellungshalle aus Beton und Stahl eingerahmt hatte, die in Neuss auf einer ehemaligen NATO-Basis steht. In diese lichtdurchflutete Architektur zog 2007 Musica Antiqua Köln ein, um seine über dreißigjährige Ensemblegeschichte mit der »Kunst der Fuge« zu beenden. Mit dabei war Regisseur Enrique Sánchez Lansch, der nicht nur diese letzte Sternstunde der sich um Reinhard Goebel versammelten Damen und Herren für die DVD dokumentierte. Die für Streichquartett eingerichtete Version korrespondiert spannungsvoll und beschwingt mit den Licht- und Schattenwegen in dieser geometrisch angelegten Musikkammer (Berlin Classics/ Edel 0016758BC).

Solistisch haben sich dagegen Peter Kofler und Bernard Foccroulle auf Bachs Gedankenspiele eingelassen. Peter Kofler hält sich am Cembalo und an der Orgel – bis auf die editorischen Zusätze – an die Druckfassung der Partitur. Doch ihre buchstabengetreue Durchdringung besitzt bei Kofler auf Dauer etwas rigoros Manisches und Blutleeres (Raumklang/harmonia mundi RK 3004). Wie anders findet da Bernard Foccroulle an der Orgel der Straßburger Bouclier-Kirche Zugang zu den expressiv kühnen Intensitätsskalen – die vielleicht die eigentliche Herausforderung in Bachs ewig jungem Alterswerk sind (Ricercar/Note 1 RI C 303).

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Guido Fischer, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 2 / 2011



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