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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Blind gehört

Manfred Honeck

Als Bratscher hat Honeck viel gelernt über Musikerherzen. Der Dirigent Honeck ist inzwischen in New York und Berlin angekommen.

Naja, ich mache es ein bisschen schneller. Ich bin ein großer Fan von Braunfels. Meinen Debütabend bei der New York Philharmonic im Januar habe ich mit der Suite dieses Werkes eröffnet. Mir war es wichtig, mit einem unbekannten Werk zu eröffnen, weil ich denke, wir haben die Aufgabe, immer wieder Neues zu präsentieren und das Publikum für solche Werke zu begeistern. Braunfels war sehr beliebt in den 20ern. Als die Nazis kamen, wurde er verbannt, und nach dem Krieg galt seine Musik als altmodisch. Dieses Schicksal berührt mich einfach. Er hat so schöne Musik geschrieben. Die Hohe Messe, die wir in Stuttgart aufgenommen haben und die hoffentlich bald auf CD erscheint, ist ein grandioses Werk! Man hört, dass Braunfels in seiner Zeit gelebt hat, und doch hat er eine eigene Tonsprache entwickelt, eine Klangwelt, eigene Harmonien, die unverwechselbar sind.

Walter Braunfels

Fantastische Erscheinungen eines Themas von Hector Berlioz, op. 25

WDR Sinfonieorchester Köln, Günter Wand

Naxis/Profil Edition Günter Hänssler

Das kenne ich nicht. Das ist mein altes Orchester? Dann ist es Pettersson? Das Stück sollte ich damals in Göteborg dirigieren, aber ich habe mich geweigert. Weil es im Konzertsaal unmöglich transparent zu bekommen ist. Es ist so dick instrumentiert, dass die Geige, die ja 45 Minuten lang permanent spielt, untergeht. Da hätte ich viel retuschieren und proben müssen. Dabei ist es eigentlich ein tolles Werk. Als Chefdirigent in Stockholm muss man Pettersson dirigieren, er ist einer der wichtigsten schwedischen Komponisten. Ich bin mit großem Vergnügen an die zwölfte Sinfonie herangegangen, aber auch da musste ich große Retuschen machen. Pettersson hat die Eigenart, sehr viel in seine Werke hineinzuwerfen. Und man versteht irgendwann nicht mehr, was eigentlich wichtig ist. Wenn es von der ersten bis zur letzten Minute im Fortissimo durchgeht, verliert man das Interesse.

Allan Pettersson

Violinkonzert Nr. 2

Isabelle van Keulen, Schwedisches Rundfunk- Sinfonieorchester, Thomas Dausgaard

cpo

Ach, der schöne Rosenkavalier! Die Stimmen sind sehr schön rund, sie schleifen ein bissel und nehmen die Töne nicht immer so klassisch gerade, wie wir es heute gewohnt sind. Das ist auf jeden Fall eine ältere Aufnahme. Es muss ein Dirigent sein, der mit der Sprache sehr gut umgehen kann. Es ist sehr deutlich, ausdrucksstark, im Charakter sehr gut. Ich habe den Rosenkavalier unter Karajan gespielt, er versuchte immer, einen schönen Legato-Bogen und sehr ruhige Phrasierungen zu machen, das kommt hier in diesem Sprechgesang nicht so zum Tragen. Aber es gibt ein paar Stellen, die mich daran erinnern. Es gefällt mir sehr gut! … Für die Oper bleibt mir im Moment einfach keine Zeit, obwohl ich sie genauso liebe wie das Konzert. Das Pittsburgh Symphony Orchestra will intensiv gepflegt werden, und außerdem ist es mir wichtig, mehr in die Werke einzutauchen, tiefer und tiefer zu gehen, und auch dafür braucht man Zeit. Es ist ja nicht damit getan, dass man einen Komponisten aufführt. Man muss ihn auch verstehen.

Richard Strauss

Der Rosenkavalier

Elisabeth Schwarzkopf, Christa Ludwig, Philharmonia Orchestra, Herbert von Karajan

EMI Classics

Bei dieser Musik stellt sich immer die Frage: Ist es wienerisch angelegt? Und ist es natürlich? Mir gefällt diese Interpretation sehr gut, es hat den Wiener Rhythmus mit der vorgezogenen Zwei, die Übergänge sind sehr logisch, es ist spritzig und hat Charme und geht Die Wiederholungen sind etwas leiser angelegt, wie wir es in Wien gewohnt sind. Es würde mich nicht wundern, wenn das die Wiener Philharmoniker wären, vielleicht habe ich da sogar mitgespielt. Das muss ein Dirigent sein, der eine Verbindung zu Wien hat, ich finde es sehr gut gespürt und geführt … Johann Strauß ist für mich eine Art Leib-Komponist, seine Werke eignen sich wunderbar, eine beglückende Stimmung in den Konzertsaal zu bringen. Und sie sind verdammt schwer zu spielen – gerade wenn es so leicht und durchsichtig klingen soll wie hier … Die acht Jahre als Bratscher bei den Wiener Philharmonikern haben mir sehr geholfen, ein Bewusstsein fürs Dirigieren zu bekommen. Ich habe die berühmtesten Dirigenten kennenlernen dürfen und habe gesehen, wie ein Orchester funktioniert. Man versteht einfach die Musikerherzen besser.

Johann Strauß

"Freuet euch des Lebens" (Walzer)

Wiener Philharmoniker, Claudio Abbado

Universal/Deutsche Grammophon

Lange Zeit galt er als Geheimtipp, der ehemalige Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters in Stockholm und GMD der Staatsoper Stuttgart. Mit seinen Debüts bei den Philharmonikern von New York und Berlin ist Manfred Honeck nun endgültig in der Dirigenten-Topliga angekommen. Im August und September geht der Österreicher mit seinem Pittsburgh Symphony Orchestra auf Europa-Tournee. Zum „Blind gehört“ am Tag nach seinem erfolgreichen Debüt in Berlin stand leider nur ein Laptop zur Verfügung und ließ akustische Feinheiten nur ahnen.

Schön weich eingesetzt! Bei Bruckner ist es mir wichtig, dass diese langen Phrasen von Anfang bis Ende durchgehört werden können, dass es keine Unterbrechungen gibt. In meiner anfänglichen Dirigentenzeit habe ich diese spezielle Interpretationsweise nicht beachtet, aber inzwischen ist mir das sehr wichtig geworden. Bruckners Welt muss man sich erarbeiten, die ist sehr vielschichtig. Er hat ja sogar Volksmusik eingebaut, das wird heute ganz übersehen. Hören Sie mal hier: Das ist ein Csárdás! Wenn man das als Csárdás spielt, erschrickt man zunächst einmal. Hier fehlen mir die Synkopen. Bruckner hat ja als Bratschist in einer Wirtshaus-Band gespielt, um Geld zu verdienen. Man sollte ihn nicht auf sakrale Musik beschränken. Genauso wenig wie man Mahler auf die österreichische Volksmusik beschränken kann. Ich arbeite allerdings sehr daran, die verschiedenen Charaktere dieser Volksmusik herauszuarbeiten. Ich hatte das Glück, dass ich in meiner Kindheit Zither gespielt habe. Mein Lehrer war Autodidakt, der konnte nicht einmal richtig Noten lesen. Ich sagte zu ihm: „So, wie Sie es von mir verlangen, steht es doch hier gar nicht geschrieben.“ „Das mag sein, aber bei uns spielt man es so“, sagte er. Ich habe damals schon an der Hochschule Geige studiert und dachte, von ihm kann ich nichts lernen, ich hatte wenig Respekt. Erst später, bei der Beschäftigung mit Mahler, habe ich gemerkt: Er hat mir genau das beigebracht, was Mahler so interessant macht. Mahler kommt aus dieser Tradition, wo man nur das spielt, was zwischen den Zeilen zu finden ist. (2. Satz) Ich interpretiere es anders. Aber es klingt fast wie die Wiener Streicher, ein sehr warmer Ton. Das ist Mariss? Den kenne ich gut aus Oslo, wo ich Erster Gastdirigent war. Ich habe Bruckner nie mit ihm gehört. Er ist ein fantastischer Dirigent. Er liebt die Musik und die Musiker und gibt in jedes Stück seine ganze Seele hinein. Hier diese Streicher-Stelle: Das ist typisch Mariss, diese Wärme, diese Leidenschaft.

Anton Bruckner

Sinfonie Nr. 7

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Mariss Jansons

Naxos/BR Klassik

Arnt Cobbers, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 2 / 2013



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