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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Kristian Schuller

Anna Netrebko

Wahnsinnig in Form

10 Jahre Deutsche Grammophon, doch erst das vierte Studioarienalbum. Das macht neugierig auf Anna Netrebkos „Verdi“. Zudem ist die Sängerin zur Frau gereift.

Die eine lackiert in nicht ganz wettkampfkorrekten Farben ihre Nägel, die andere prostet bei einem Empfang einem Herren mit dem Champagnerglas zu. Das sind zwei politische Statements, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Und die doch die gleiche Person meinen.
Die regenbogenbunten Fingerkuppen, mit denen zwei schwedische Athletinnen bei der Leichtathletik-WM in Moskau angetreten sind, soll man als solidarischen Protest gegen Wladimir Putins Anti-Homosexuellen- Gesetzgebung begreifen. Das an sich harmlose Partyfoto von der Eröffnung der zweiten Bühne des St. Petersburger Mariinski Theaters, bei dem Anna Netrebko ihrem Präsidenten mit dem Glas die Ehre erweist, wurde hingegen nicht nur bei den Klassikbloggern als neuerlicher Gunstbeweis der Sängerin für den starken Mann im Land interpretiert.
Seit freilich Putins Regierung gegen Schwule hetzt und in Russland alte Ressentiments schürt, muss sich Netrebko von der nicht nur heterosexuellen Opernwelt vielerlei Vorwürfe gefallen lassen. Vor allem in Amerika, wo sie am 23. September in New York die Saison der Metropolitan Opera mit einer Galapremiere von Tschaikowskis „Eugen Onegin“ eröffnet, reagiert man bei solchen offiziellen Anlässen gern politisch überkorrekt.
Deshalb haben sowohl Netrebko als auch die Met auf ihren Webseiten mit Statements reagiert, dass sie niemanden diskriminieren; die Oper sprach es offensiver aus, die Sängerin verhaltener. Und trotzdem wird klar: Anna Netrebko ist nicht nur ein Fantasiegeschöpf, sie muss sich mit der Lebenswirklichkeit auseinandersetzen. Auch sie wird älter. Zehn Jahre Aufnahmetätigkeit für die Deutsche Grammophon beweisen das deutlich. Zehn Jahre, in denen sich ihre Stimme und auch ihre Rollen verändert haben. Die Zeit der netten Leichtgewichtigen ist vorbei: Adina, Norina, Juliette, Massenets Manon, selbst die eher Kummer gewohnten Bellini-Heldinnen Amina und Elvira, auch Donizettis männermordende Lucia und Verdis Traviata, sie gehören inzwischen der Vergangenheit an.

Addio Fräulein! Ciao Frau!

Die 41-jährige Anna Netrebko ist hingegen auf dem Weg zur hässlichen Stimme. Nicht unbedingt das Ideal, das man sich für eine klassische Gesangskarriere wünscht. Aber schließlich gilt es den Thron als Primadonna assoluta der großen Sopranistinnenwelt zu verteidigen. Und Netrebkos Strategie heißt: Addio Fräulein, ciao Frau! Gerade ist das mit Giuseppe Verdis siebter Oper „Giovanna d‘Arco“ konzertant bei den Salzburger Festspielen glänzend aufgegangen.
Die Netrebko triumphierte – und so war dieser Salzburger Auftritt natürlich auch der Anlass, um ihr neues Album vorzustellen. Das heißt schlicht „Verdi“ und ist, abgesehen vom schlimm schlank-gephotoshopten Cover, eine höchst erfreuliche Angelegenheit. Weil eine Sängerin auf dem Höhepunkt ihrer künstlerischen Mittel lustvoll neugierig frisches Rollenfutter austestet, das sie größtenteils künftig auch live präsentieren wird.
Neben der Jungfrau von Orléans folgen jetzt die vokalen Verdi- Schwergewichte des Spinto-Sopranfachs – zum Beispiel die „Trovatore“-Leonora, die sie erstmals live Ende November unter Daniel Barenboim am Berliner Schiller-Theater singen wird. Für die nobel kühle, hier in ihrer großen Arie fast ein wenig zu tintodunkel gesungene Königin Elisabetta aus dem „Don Carlo“ wie auch für die fast grell sich in ihrem Bolero kurz vor dem Massenmord-Ende nach Leben verzehrende Herzogin Elena der „Vespri Siciliani“ gibt es noch keine fixierten Auftrittsdaten.
Freilich aber für eine andere Oper, deren Wahl hier sicher am Ungewöhnlichsten anmutet: Verdis „Macbeth“ mit seiner das Morddrama vorantreibenden, am Ende wahnsinnigen Lady. Eine Lady, der Anna Netrebko dennoch einen Rest an menschlichem Gefühl zugestehen will, die gerade wegen dieses emphatischen Umnachtetseins zugleich eine der gestalterisch differenziertesten Soloszenen der ganzen Literatur ist. Und über die Verdi gesagt hat: „Ich möchte die Lady hässlich und böse, ich möchte für die Lady eine raue, erstickte, dumpfe Stimme.“
Generationen von Sängerinnen haben versucht, diesen folgenschweren ästhetischen Vorgaben Genüge zu tun – die aber nur metaphorisch zu verstehen sind. Die Netrebko – im Verein mit ihrem bewährten Dirigenten- Begleiter Gianandrea Noseda sowie dem idiomatisch, aber ein wenig kraftlos klingenden Turiner Opernorchester – schwärzt also ihre Stimme, macht sie dumpf, lässt sie flackern. Und weichzeichnet so auch ein wenig. Da ist ein großes, ehrliches, gestalterisches Bemühen zu hören, doch an die in Weißglut flackernden, auf der Bühne erprobten Attacken einer Maria Callas darf man dabei nicht denken. Bei den nächsten Münchner Opernfestspielen wird Anna Netrebko diese Partie auch auf der Bühne verkörpern. Eine deutsche Operettenrolle zu Silvester 2015 könnte den Weg bereiten für die für 2016 in Dresden unter Christian Thielemann avisierte „Lohengrin“- Elsa als erstem Wagner-Versuch. Und dann stehen auch noch Norma und Puccinis deutlich dramatischere Manon im Kalender. Alles Rollen, die auch als Frauen handeln, sich nicht nur passiv treiben lassen.
Zur Saisoneröffnung in New York steht Netrebko (nach dem erfolgreichen Wien- Debüt) ein zweites Mal als Tschaikowskis Tatjana auf der Bühne. Gleichzeitig deutet die Repertoireauswahl bei ihrem bald auf DVD erscheinenden Konzert auf dem Roten Platz auf die Eroberung des Verismo-Fachs. Und auch auf dem französischen Terrain ist 2014 mit der Gounod-Margarethe eine Novität geplant.
Die Netrebko ist fleißig und klug, sie weiß genau: Wer an der Spitze bleiben will, muss sich wandeln, muss die Stimme frisch halten, sie füttern, sie aber auch mit Lebenserfahrung anreichern. Genau das ist Anna Netrebko auf ihrer neuen, im Elegischen schwelgenden, dabei kraftvoll zupackenden CD gelungen.

Giuseppe Verdi

Verdi

Anna Netrebko, Gianandrea Noseda, Orchestra Teatro Regio Torino

DG/Universal

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Schwerere Stimme, wunderschöne Linien

Rondo: Sie bringen – pünktlich zum Jubiläumsjahr – erstmals ein Album heraus, das ausschließlich Verdi-Partien enthält. Wie liegen Ihnen diese Rollen stimmlich? Anna

Netrebko: Verdi zu singen ist immer schwierig. Es bedarf viel Vorbereitung, einer guten Technik, Atemkontrolle und so weiter – und natürlich muss man ein paar grundsätzliche Regeln beherzigen. Aber wenn man all das hat, dann ist Verdi eigentlich gut für die Stimme. Seine Musik hält sie in Form. Denn wenn die Stimme nicht in Form ist, wird man gar nicht in der Lage sein, die Aufführung zu Ende zu singen. (lacht)

RONDO: Was ist es, das Sie persönlich an Verdis Musik so sehr schätzen?

Netrebko: Diese Musik ist so voll von ganz unterschiedlichen Emotionen, von unendlich langen, wunderschönen Linien, Strettas, seine Tempi – unglaublich! Es ist ein außergewöhnliches Vergnügen für jeden Sänger, diese Musik zu singen.

RONDO: Was sind denn andererseits die Schwierigkeiten, die sich in Verdis Partien stellen?

Netrebko: Man braucht eine etwas schwerere Stimme als zum Beispiel für Belcanto oder Mozart, und natürlich den entsprechend großen Stimmumfang. Außerdem muss man in der Lage sein, mit seinem Piano und Staccato umzugehen, Agilität und Flexibilität kontinuierlich auf hohem Niveau zu halten. Und das alles kombiniert mit einem schweren, massiven Klang, der sich gegenüber dem Orchester und manchmal noch dazu gegenüber dem Chor durchsetzen muss. Das fordert einem schon einiges ab.

RONDO: Besteht ein Unterschied, ob man eine Rolle für die Bühne erarbeitet oder für eine Aufnahme?

Netrebko: Die „Wahnsinnsszene“ der Lady Macbeth für das Album aufzunehmen, war sehr schwierig. Ich habe sie bereits im Juli 2012 einmal gemacht, aber ich mochte das Ergebnis überhaupt nicht. Irgendetwas fehlte. Es hat mich einfach nicht berührt. Also habe ich mir ein paar Monate Auszeit genommen, um darüber nachzudenken. Nach einem halben Jahr habe ich es noch einmal aufgenommen und diesmal stimmte es. Auf der Bühne ist es einfacher, denn die Bewegungen und die Bühne selbst, auch wenn sie minimalistisch und ganz verrückt ist, hilft einem, und auch der Partner trägt eine Menge bei.

Das Interview führte Oda Tischewski.

Matthias Siehler, 31.08.2013, RONDO Ausgabe 4 / 2013



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