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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Pergolesi

Kreuzglücklich

Neun von zehn Werken mit Pergolesis Namen gelten als Fälschungen. Doch jetzt hat ein Musikwissenschaftler das große Los gezogen.

Wer ein Mal lügt, dem glaubt man nicht“, heißt es bekanntlich. Im Falle des Komponisten Giovanni Battista Pergolesi haben Verleger und Musikalienhändler in der Vergangenheit so oft gelogen, dass die meisten Fachleute nur müde den Kopf schütteln, wenn es heißt, ein unbekanntes Werk des ebenso populären wie häufig plagiierten Neapolitaners sei aufgetaucht. Skepsis ist erst recht angebracht, wenn es sich bei dem Werk um eine oratorische Meditation über die sieben letzten Worte Christi am Kreuz handelt – denn eine derartig schöne Ergänzung zu Pergolesis legendärem Stabat Mater wäre fast zu interessant um wahr zu sein.
Wahrscheinlich würden die Stimmen zu den „Septem verba a Christo“ mit der Auf-schrift „Pergolese“ noch immer unaufgeführt in ihrem jahrhundertelangen Archivschlaf dahindämmern, hätte nicht der Dortmunder Musikwissenschaftler Reinhard Fehling im Pergolesi-Jubiläumsjahr nach einem thematisch passenden Stück für seinen Unichor gesucht. Er stieß auf die „Septem verba“, deren Abschrift bereits 1882 katalogisiert und 1936 in einer inzwischen veralteten stilkritischen Analyse für echt befunden wurden.
Fehling nahm sich des Werkes an – und forschte weiter. Eine Suchanfrage bei Google führte ihn auf eine heiße Spur: Er fand nämlich eine zweite historische Abschrift des Stücks im Stift Kremsmünster – und die ließ die Wahrscheinlichkeit für eine Autorschaft Pergolesis sprunghaft steigen, da die Musiker dieses Stifts nachweislich intensiven Kontakt mit dem Musikerkreis um Pergolesi hatten. Fehling nahm die Musik nun auch analytisch neu unter die Lupe und fand erneut starke Hinweise darauf, dass der legendäre Meister tatsächlich der Autor war. „Bei den Übereinstimmungen handelte es sich nämlich nicht um Kopien von Effekten“, erläutert Fehling, denn die wären bei Pergolesi leicht herzustellen. Vielmehr waren es kompositorische Entscheidungen im Hintergrund, „Dinge, die gar nicht so auffallen“, an denen er den Fingerabdruck des Komponisten zu erkennen glaubte – wobei die Übereinstimmungen zu dem erst 1990 wiederentdeckten Pergolesi-Oratorium „La morte di San Giuseppe“ besonders deutlich waren. Herauszufinden, worin der besondere Reiz von Pergolesis Musik liege, sei für die traditionelle Musikwissenschaft nicht leicht, erklärt Fehling, denn die Art und Weise, wie Pergolesi – gleichsam „im Baukastensystem“ – verschiedene Stimmungen aneinanderreihe, gleiche eher der Konstruktion eines Popsongs als der einer Bach‘schen Komposition. Was die Qualität der Musik nicht mindere: Ganz begeistert ist Fehling schon allein davon, wie es dem opernerfahrenen Pergolesi gelinge, eine Sprache, und dazu noch das tote Latein, „zum Klingen zu bringen“. Es dauerte nicht lange, bis der Dirigent René Jacobs, der sich in den letzten Jahren besonders eindringlich um die Entdeckung unbekannter Barockoratorien bemüht hat, von der Sensation erfuhr – und sich noch vor der Drucklegung durch den renommierten Bärenreiter-Verlag die Weltersteinspielung sicherte. Unabhängig von Diskussionen um die Autorschaft dürfte mit dieser jetzt wenigstens eines klar sein: Das Werk ist schon echt gut.

Giovanni Battista Pergolesi

„Septem verba a Christo“

René Jacobs, Akademie für Alte Musik, Sophie Karthäuser, Christophe Dumaux, Julien Behr, Konstantin Wolff

harmonia mundi

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Carsten Niemann, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 2 / 2013



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