Startseite · Interview · Gefragt
RONDO: Frau Ott, es gibt große Chopin- und Mozart-Spielerinnen, aber erstaunlich wenig Pianistinnen, die sich mit Beethoven profiliert haben. Ist Beethoven ein Fall für Männer?
Alice Sara Ott: Sicher, wenn man an die Gesamteinspielungen der Sonaten denkt, fallen einem vor allem Männernamen ein – und noch Elly Ney als Ausnahme. Aber das liegt vielleicht auch daran, dass es früher einfach weniger Frauen gab, die ganz oben mitspielen konnten. Ich glaube aber nicht, dass das Geschlecht für eine gute Beethoven-Interpretation eine Rolle spielt, eher schon eine gewisse Reife als Interpret.
RONDO: Das heißt, dass man sich Beethoven mehr erarbeiten muss?
Alice Sara Ott: Beethoven braucht einfach Zeit. An den beiden Sonaten auf meiner CD habe ich zehn Jahre gearbeitet, und ich bin mir sicher, dass sich meine Sicht beider Stücke noch weiter verändern wird. Eine Beethoven-Sonate begleitet einen ein ganzes Leben. Deshalb war die Auswahl für meine CD auch ganz klar: Die »Waldstein«-Sonate und die frühe C-Dur-Sonate sind einfach die beiden Stücke, die ich am längsten und besten kenne. Ich habe mit zwölf angefangen, sie zu spielen und hatte jetzt das Gefühl, dass die Zeit reif für eine Aufnahme ist. Und wenn man heute eine Beethoven-Einspielung vorlegt, rechtfertigt sich das nur durch eine persönliche Aussage. Wenn ich einfach die populärsten Sonaten gekoppelt hätte, wäre meine Aufnahme sicher sang- und klanglos untergegangen.
RONDO: Opus 2, Nr. 3 ist technisch eine der schwersten Beethoven-Sonaten. Hat Ihr Lehrer Ihnen das Stück damals vielleicht nur gegeben, damit Sie sich die Zähne daran ausbeißen?
Alice Sara Ott: Mir hat das Stück einfach gefallen, auch wenn ich mit zwölf nicht groß darüber nachgedacht habe, weshalb. Und wenn mir ein Stück gefiel, habe ich meinen Lehrer gefragt, ob ich das spielen darf. Wenn er nein gesagt hat, habe ich solange gebettelt, bis ich᾽s doch spielen durfte. Was ich jetzt an dem Stück mag, ist einerseits die orchestrale Anlage: Das ist für mich schon fast ein Klavierkonzert. Andererseits finde ich aber auch die Mischung aus jugendlichem Elan und Tiefe besonders reizvoll. Gerade im Mittelsatz sind Stellen, die für mich schon den späten Beethoven vorausahnen lassen.
RONDO: Deshalb auch die relativ gemessenen Tempi?
Alice Sara Ott: Für mich ist Virtuosität nicht gleich Schnelligkeit. Die Tempi waren für mich einfach schlüssig, weil sowohl die Mächtigkeit der orchestralen Anlage in Opus 2, Nr. 3, als auch die düsteren, melancholischen Facetten so am besten zur Geltung kommen.
RONDO: Haben Sie sich bei Ihrem Beethoven auch von den Erkenntnissen historischer Aufführungspraxis inspirieren lassen?
Alice Sara Ott: Leider hatte ich erst vor kurzem zum ersten Mal richtig Gelegenheit, auf einem Hammerflügel zu spielen – und diese Klangwelt war für mich ein Erlebnis, das mir sehr viele Denkanstöße gegeben hat. Deshalb fände ich es auch wichtig, wenn Pianisten an den Hochschulen die Möglichkeit bekämen, auch auf historischen Instrumenten zu spielen. Leider ist das ja bislang kaum der Fall. Aber andererseits gilt, dass wir Pianisten heute riesige Säle mit Klang füllen müssen und dass die Lebensumstände heute völlig anders sind als früher und deshalb auch eine andere Art des Spiels erfordern.
RONDO: Ist es für Sie generell wichtig, die Lebensumstände eines Komponisten zu kennen, wenn Sie seine Musik studieren?
Alice Sara Ott: Man sollte schon wissen, was für ein Leben ein Komponist geführt hat und was für ein Mensch er gewesen ist. Denn auch wenn alles in den Noten steht, erleichtert es einem doch das Verständnis. Dafür ist die »Waldstein«- Sonate ein gutes Beispiel. Als ich das Stück das erste Mal hörte, lief es mir beim Kopfsatz kalt den Rücken herunter und ich war irritiert, dass dieses Stück in C-Dur geschrieben war. Denn C-Dur war für mich etwas Strahlendes, Heiteres, das gar nichts mit der Dramatik dieses Satzes zu tun zu haben schien. Wenn man aber weiß, dass Beethovens »Heiligenstädter Testament« in dieser Zeit entstanden ist und Beethoven zu dieser Zeit am Tiefpunkt seines Lebens angelangt war, erschließt sich die Stimmung der »Waldstein«-Sonate viel leichter.
Jörg Königsdorf, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 4 / 2011
Was ist bloß aus der ‚komischen Alten‘ geworden? Früher ein festes Rollenfach (Marcellina, […]
zum Artikel
Kontraste – und Zwischentöne
Bei dem mit Anne-Sophie Mutter, Anna Prohaska und Wynton Marsalis topbesetzten Festival erstreckt […]
zum Artikel
Nun ist es raus: Die Berliner Staatsoper Unter den Linden hat ab dem 1. September 2024 eine neue […]
zum Artikel