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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Christian Thielemann

» Ich bin ein Beute-Preuße«

Christian Thielemann, unser Dirigent für’s Große, enthält sich in diesem Jahr mild und leise des Grünen Hügels. Dass er mitsamt seiner Sächsischen Staatskapelle Dresden als Chef der Salzburger Osterfestspiele verpflichtet wurde, erscheint hingegen als Coup mit musikalischer Festverzinsung. Im Interview mit Kai Luehrs-Kaiser spricht er über Preußen, seine Eindrücke von der Salzach und darüber, wo er seine legendären Ringelpullies kauft.

RONDO: Herr Thielemann, Sie waren dieses Jahr auf Bayreuth-Entzug. Wie verkraften Sie das?

Christian Thielemann: Na, Sie sind mir einer! Aber es stimmt. Ich war ein Jahr lang nicht in Bayreuth, aber Salzburg ist auch toll. Wir haben alle gesagt: Es ist viel voller dort! Salzburg hatte ich in Wirklichkeit nie richtig erlebt. Es war neu für mich. Nur vor längerer Zeit habe ich hier ein bisschen dirigiert.

RONDO: Was machen Sie in Salzburg, wenn Sie frei haben? Thielemann: Ich bin rausgefahren nach Berchtesgaden oder geh’ wandern. In Chiemsee habe ich mir die Ausstellung über Ludwig II. angesehen. Ist doch herrlich! Mit den Kollegen habe ich mich auch gut verstanden. Ich kann mit Skandalgeschichten nicht dienen.

RONDO: Ab 2013 werden Sie künstlerischer Leiter der Salzburger Osterfestspiele. Normalerweise sind Sie zurückhaltend bei Chefpositionen. Aber da haben Sie sofort zugegriffen!

Thielemann: Na klar! Da kann man nicht nein sagen. Entscheidend war, dass Salzburg für mich keinerlei Mehrbelastung bedeutet. Das spielt sich alles mit meinem Orchester ab. Wir kommen mit ausprobierten Sachen. Obwohl natürlich Salzburg das »Recht der ersten Nacht« zusteht. Grundsätzlich würde ich niemals eine zweite Position annehmen.

RONDO: Was bedeutet es Ihnen, in Salzburg Karajan-Nachfolger zu sein?

Thielemann: Sehr viel. Weil ich Karajan beinahe meine Karriere verdanke. Er war es, der mir gesagt hat, wie man Dirigent wird. Nämlich: Erst korrepetieren! Und bei der Oper mit den Sängern atmen! Beim »Parsifal« in Salzburg habe ich bei ihm die Glocken geläutet. Stundenlang haben wir in seinem Dienstzimmer zusammengesessen. Karajan wird gerne als unnahbar beschrieben. Ich habe ihn sehr nahbar, nett und sogar väterlich liebevoll erlebt. Es sprudelte nur so aus ihm heraus. Nur wenn ein größerer Kreis draus wurde, schlug die Stimmung plötzlich um, und das Geschäftliche setzte ein. Er hatte eben seine zwei Seiten.

RONDO: Was können Sie in Salzburg realisieren, was Sie woanders nicht können?

Thielemann: Ich kann mein Orchester in seiner ganzen Pracht vorführen. Das ist es, worauf es mir ankommt. Es ist eines der ältesten Orchester überhaupt. Nur die Mannheimer sind älter, haben aber nicht ununterbrochen bestanden. Wir passen aus Klanggründen gut zueinander, mehr als aus Gründen des Repertoires. Die Werke von Max Reger, die ich dirigieren will, sind in Dresden seit Fritz Busch nicht mehr aufgeführt worden. Und das Pfitzner- Klavierkonzert gab es zuletzt mit dem Schweizer Edwin Fischer als Solist.

RONDO: Die Staatskapelle Dresden ist eigentlich ein weich klingendes, unpreußisches Orchester, oder?

Thielemann: Aber woher denn! Preußen ist ja weich. Denken Sie nur mal an die lindgrünen Polsterüberzüge in Sanssouci. Übrigens, ich bin zwar als ausgesprochener Preuße bekannt. Aber die Thielemänner, wie ich jetzt rausgefunden habe, kommen in Wirklichkeit aus Leipzig und Dresden. Ich beginne Familienforschung zu betreiben, seit ich zuhause Familienbücher gefunden habe, die bis 1830 zurückgehen. Ich bin ein Beute-Preuße. Ein Konvertit. Und die sind ja in den meisten Fällen die Schlimmsten.

RONDO: Wie beurteilen Sie die Art und Weise, wie das Erbe der großen Orchesters in der DDR weitergepflegt wurde?

Thielemann: Als famos. Da wurde nichts verschliffen. Das ist beim Leipziger Gewandhausorchester übrigens nicht anders. Ich glaube schon, dass man damals im Osten so ein bisschen im eigenen Saft gekocht hat, so dass die Orchester ihr Klangbild bewahren mussten. Weil nämlich kaum Frischluftzufuhr in Form auswärtiger Dirigenten da war. Diese Orchester stehen heute immer unter Schiebungsverdacht. Das ist so gemeint, dass die Musiker angeblich sagen: »Mein Sohn soll auch ins Orchester.« Aber dafür wird eben die Tradition auch entsprechend weitergetragen. Da sagen die älteren Musiker zu den jüngeren: »Das spielt man bei uns eigentlich so!« Das ist doch wunderbar.

RONDO: Wilhelm Furtwängler gilt als Ihr Vorbild. Worin versuchen Sie ihm nachzueifern?

Thielemann: In der Haltung. Kopieren können Sie große Dirigenten grundsätzlich nicht. Man kann sich nur einleben. Und die Art von Musizierhaltung einnehmen. Das geschieht eher gefühlsmäßig. Und bezieht sich bei mir nicht nur auf Furtwängler. Ich finde ebenfalls bei Bruno Walter vieles, was mich anspricht und auch überrascht.

RONDO: Könnte sich Furtwängler mit seiner eigentümlichen Dirigiertechnik heute gegenüber Orchestern noch behaupten?

Thielemann: Ja, könnte er. Und das liegt daran, dass es aufs Technische beim Dirigieren überhaupt nicht ankommt. Schauen Sie sich an, wie diejenigen dirigieren, die man als groß und bedeutend akzeptiert, also, sagen wir: Boulez, Abbado oder Haitink! Die dirigieren vor allen Dingen sehr persönlich. Es kommt, meine ich, als Dirigent nur auf eines an: dass Sie sich nicht lächerlich machen gegenüber dem Orchester.

RONDO: Man hört, wenn von Ihnen die Rede ist, oft den Satz: »Dessen politische Ansichten sind ja bekannt.« Haben Sie sich eigentlich jemals politisch geäußert?

Thielemann: Nein. Ich befürchte, dass zwei oder drei von Ihren Kollegen voneinander abgeschrieben haben und die Vorurteile über mich so in die Welt gekommen sind. Ich werde Ihnen etwas sagen: Als ich in Nürnberg anfing, flatterten mir von allen Parteien Einladungen auf den Tisch. Ich habe sie alle nicht beantwortet. Ich bin der Auffassung, dass Dirigenten sich nicht politisch äußern sollen. Nicht mal in meinen Programmzusammenstellungen steckt ein politischer Gehalt.

RONDO: Auch nicht, wenn Sie ständig Pfitzner spielen?

Thielemann: Pfitzner hat sich in seiner Musik keineswegs politisch artikuliert. Freilich, man löckt natürlich, wenn man auf irgendwas festgelegt wird, gern mal wider den Stachel. Mit Pfitzner wollte ich ärgern. Gewundert habe ich mich darüber, wie einfach das ist. Aber es werden merkwürdige Unterschiede gemacht. Von Sergej Prokofjew gibt es eine Kantate zur Verherrlichung Stalins. Die hat Valery Gergiev dirigiert, ohne dass ihm das jemand angekreidet hätte. Mir ist Pfitzner lediglich musikalisch wichtig.

RONDO: Sind Sie ein politisch interessierter Mensch?

Thielemann: Nein. Ich bin kein politischer Mensch. Ich bin es einfach nicht! Und ich trachte auch inzwischen nicht mehr danach, weil es nämlich nur Ärger macht. Ich habe bei all meinen Programmen niemals eine politische Erwägung gehabt.

RONDO: Würden Sie trotzdem zustimmen, dass Sie auf diese Weise eine spezielle Nische, eine Marktlücke gefunden haben?

Thielemann: Marktlücke ist richtig. Die habe ich tatsächlich gefunden. Sie hat aber mit Politik nichts zu tun. Ich habe immer nur das gemacht, was mir gefällt. Ich pflege mein Image auch nicht. Ich bin authentisch. Das halte ich für wichtig. Für alles andere bin ich in Wirklichkeit viel zu faul.

RONDO: Was halten Sie von der vielbeschworenen Wagner-Krise?

Thielemann: Die Krise, die Sie ansprechen, ist nicht auf Wagner beschränkt. Und sie besteht nur deshalb, weil die Sänger zu früh zu viel machen. E s gibt kein Provinztheater mehr. Die schöne alte Provinz, also Detmold, Ulm und so weiter, selbst da sitzen heute überall Agenten im Parkett. Und die Schallplatten haben die Leute von selber im Ohr. So werden heutzutage die Talente verhökert und vorzeitig kaputt gemacht. Wenn Sie wüssten, was mir allein in den letzten Tagen hier für Angebote gemacht wurden. Die Leute wissen, ich habe einen Tag frei, und schicken mir ein Privatflugzeug, damit ich mir irgendwo jemanden anhöre. Das ist doch absurd. Der Kern der Wagner-Krise liegt in der vielen Reiserei.

RONDO: Letzte Frage: Wo kaufen Sie eigentlich Ihre berühmten Ringelpullies?

Thielemann: Wollen Sie das wirklich wissen!? Bei »Loden Frey« in München. Ich habe immer gesagt: Zwei Sachen kann man besonders gut in München – Essen gehen und Einkaufen.

Ludwig van Beethoven

Die Sinfonien

Christian Thielemann, Wiener Philharmoniker

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Kai Luehrs-Kaiser, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 4 / 2011



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