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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Fanfare

Ja, es gibt sie, die mutigen Opernhäuser, die im Wagnerjahr nicht nur Wagner spielen, sondern die zeigen, wo der sich einst operninspirieren ließ. Da gibt es dann römische Liebesakte, Alpendinosaurier, vergiftete Inderinnen und, ja, sogar einen original Wagner im Feenreich zu bestaunen – auf nach Karlsruhe, Amsterdam, Chemnitz!
Gaspare Spontinis „La Vestale“ ist eine zwischen Glucks Reformbemühen und den effektvollen Standbildern der späteren Grand Opéra 1807 in Paris uraufgeführte Hochfeier des Klassizismus. Wagner liebte die schlichte Beispielhaftigkeit der Geschichte, einer verliebten Vesta-Priesterin, die während eines Rendezvous mit ihrem geliebten General Licinius das heilige Feuer ausgehen lässt. In Karlsruhe trägt Barbara Dobrzanska ordentlich große Vorgängerinnen-Sandalen. Was auch für Andrea Shin als Licinius gilt. So mangelt Aron Stiehls bewusst einfach gehaltener, in Frank Philipp Schlössmanns klaustrophobisch blauer Kiste angesiedelter Inszenierung ein wenig die Mitte. Den Polizeistaat markiert ein steinerner Lorbeerkranz mit gekreuzten Maschinengewehren, Obervestalin und Hohepriester vergnügen sich mit Alkohol und Sex. Doppelmoral der absolutistischen Nomenklatura. Johannes Willig dirigiert die Badische Staatskapelle mit kraftvoller Direktheit. Ungleich mehr Aufwand verlangt Gioacchino Rossinis Pariser Opernabschied „Guillaume Tell“ von 1829. Der Ruf nach Freiheit, Natursehnsucht und Kantilene gehen da eine monumental sich schichtende Musiktheatermischung ein. Die Nederlandse Opera hat das heftige Helvetia-Opus jetzt gestemmt. Schon der erste Celloton der gewitterstürmenden Ouvertüre gibt Paolo Carignanis vorzügliche Dirigierhaltung als gekonnter Mischung aus flexibler Schlankheit und satter Tonpracht vor. Der diebische Wagner fand das klasse, diskutierte noch 1860 beim berühmten Pariser Besuchsdialog mit Rossini Note für Note und hätte ohne den „Tell“ so nie „Rienzi“ oder „Tannhäuser“ schreiben können.
Anders als sonst bei Rossini, zählt selten der brillante Arienaugenblick, sondern das große Ganze. Umso schöner aber, wenn dem in jeder Hinsicht voluminösen Tell Nicola Alaimos die konzentrierte Kantilene gelingt. Umso beglückender, wenn der hinreißende John Osborn (als Arnold für Liebe in jeder Spielart zuständig) die absurd hohen Noten leicht nimmt. Und umso feinsinniger, wenn Marina Rebeka als hinzuaddierte amouröse Zielfigur aus den Reihen der gegnerischen Habsburger im Sissi-Reitkostüm mit makellosem Sopranschmelz aufwartet.
Pierre Audis zurückhaltende Regie weitet das tönende Eidgenossen-Monument konsequent ins Symbolhafte. Das sich wie im Vierwaldstättersee spiegelnde Alpenpanorama samt Sturm und Boot/Brücke, Brandschatzung und erzwungener Ballettheiterkeit bleiben auf George Tsypins offener Bühne Zeichen, sinken nie auf Naturalismus-Niveau herab und lassen dem Werk seine hehre Künstlichkeit. Ein wenig mehr Mut zur Rustikalparodie wäre allerdings möglich gewesen.
Noch vor dem ersten Bayreuther „Ring“-Zyklus und den späten Verdi-Operngeburten war die posthume Uraufführung von Giacomo Meyerbeers „Afrikanerin“ am 28. April 1865 in Paris das am meisten beachtete Musiktheater-Ereignis des 19. Jahrhunderts. Meyerbeer selbst war es noch, der die zunächst konturenarme Dreiecksgeschichte laviert, auf den Entdecker- Seehelden Vasco da Gama zuspitzte. Das neue drame lyrique und der schwüle Exotismus werden hier vorweggenommen. Doch die posthumen Bearbeiter negierten dies. Was dazu führte, dass es in „Vasco de Gama“, wie das hinreißende Stück jetzt endlich korrekt heißt, viele Ungereimtheiten und Brüche gab. Denn es fehlte, je nach Strichfassung, bis hin zur Hälfte der originalen Musik. Die wurde jetzt erstmals komplett an der mutigen Oper Chemnitz vorgestellt. In einem heroischen Kraftakt, der an Grenzen des Singens, Spielen, Sehens und Hörens ging, aber glücklicherweise niemanden überforderte, fünf Stunden und zehn Minuten gloriosen Musiktheaters zu erleben. Verdi und Wagner klauten und borgten da, imitierten, bis sich die Notenblätter bogen. Und Frank Beermann dirigiert das mit farbenreicher Finesse.

Roland Mackes, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 2 / 2013



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