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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Holger Hage

Albrecht Mayer

Italienische Reise

Glückliche Zuhörer stehen für den Oboisten an oberster Stelle. Für sein neues Album hat er Archive durchforstet – und überrascht mit italienischem Barock von europäischer Reichweite.

Nachdem er bereits mit „Lost and Found“ eine Reihe musikalischer Kostbarkeiten aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu Tage gefördert hatte, bewegt sich Oboist Albrecht Mayer mit „Tesori d’Italia“ nun noch einmal ein paar Schritte weiter zurück auf der Zeitachse. Auf seinem neuen Album, das unter anderem mit zwei Weltersteinspielungen aufwartet, finden sich dabei neben bekannten Namen wie Vivaldi und Sammartini auch Raritäten aus der Feder von Giovanni Alberto Ristori und Domenico Elmi.

RONDO: Herr Mayer, Sie feiern in diesem Jahr ihr 25-jähriges Jubiläum bei den Berliner Philharmonikern. Sind Ausflüge wie dieser eine bewusster Kontrast zum Repertoire eines Orchestermusikers?

Albrecht Mayer: Ausflüge würde ich es nicht nennen. Es sind für mich zwei unterschiedliche Leben. Ich bin wie ein Bigamist, der jederzeit ohne schlechtes Gewissen von einer Familie zur nächsten gehen kann. Natürlich nur im übertragenen musikalischen Sinne. Und gerade das 17. und 18. Jahrhundert haben ja, wenn man so will, den Siegeszug der Oboe erst eingeläutet und bieten musikalisch unglaublich viel. Daran kommt man fast nicht vorbei.

RONDO: Trotzdem gab es am Anfang Ihrer Karriere auf CD zunächst einmal Bearbeitungen zu hören.

Mayer: Wir mussten die Oboe als Instrument erst wieder populärer machen. Und das ging mit einem Namen wie Bach natürlich deutlich einfacher. Und ich finde immer noch, dass es damals ein sehr schönes Album geworden ist. Aber nachdem das so eingeschlagen hatte, habe ich eigentlich fast nur noch Originalwerke aufgenommen. An denen herrscht ja kein Mangel. Wenn man sich das Repertoire von Bratsche, Klarinette, Flöte, Posaune und Trompete zusammenzählt, dann haben wir Oboisten schon rein quantitativ mehr Solo-Orchesterkonzerte als alle diese Instrumente zusammen.

RONDO: Angesicht dieser Fülle muss die Auswahl gerade bei unbekannteren Werken schwerfallen.

Mayer: Wenn man so ein Album plant, macht man sich über Jahre immer wieder Gedanken und recherchiert natürlich viel. In diesem Fall auch mit der Hilfe von Freunden in Italien oder Stockholm, die mich dabei unterstützt haben, die Noten aufzustöbern. Vieles davon ist ja in ganz Europa verstreut. Ich war aber auch selbst in verschiedenen Archiven und Bibliotheken, wie zum Beispiel in Breslau, London oder in Regensburg.

RONDO: Welche Kriterien musste ein Werk erfüllen, um einen Platz auf der CD zu finden?

Mayer: Das ist nach der Recherche wahrscheinlich die schwierigste Arbeit. Bei „Lost and Found“ hatte ich 132 Konzerte auf meiner ersten Wunschliste, bei den „Tesori d’Italia“ immerhin „nur“ noch 88. Ausprobiert haben wir nach einer Vorauswahl dann tatsächlich acht, von denen es sechs auf die CD geschafft haben.

RONDO: Spielt die Exklusivität einer Welt-Ersteinspielung, wie jetzt im Falle von Domenico Elmis a-Moll-Konzert, dabei auch eine Rolle?

Mayer: Ja, denn man darf nicht vergessen, dass nur weil ich diese Stücke ausgrabe, nicht gleich jeder junge Kollege damit durch die Lande ziehen kann. Normalerweise wird man als Oboist gefragt, die Konzerte von Mozart und Strauss zu spielen, oder das Bach-Doppelkonzert für Geige und Oboe. Eben das, was die meisten Konzertbesucher kennen.

RONDO: Müssen Sie bei Konzertveranstaltern in Sachen Repertoire viel Überzeugungsarbeit leisten?

Mayer: Ich weiß, dass ich großes Glück habe, auch Dinge wie die „Tesori“ spielen zu können, weil die Leute nicht kommen um Sammartini, sondern um Albrecht Mayer zu hören. Dafür bin ich aber auch inzwischen fast 40 Jahre lang durch die Lande gezogen und habe viel Öffentlichkeitsarbeit für mein Instrument gemacht. Im Gegensatz zu anderen hervorragenden jüngeren Kollegen habe ich daher mittlerweile den Luxus, dass ich nicht fragen muss, ob ich so etwas spielen darf. Ich sage ganz klar, dass ich es spielen will.

RONDO: Wenn man sich den Lebenslauf eines Komponisten wie Ristori ansieht, ist es mit Stationen in Dresden, Warschau und St. Petersburg doch ein sehr europäischer. Wie verträgt sich das mit dem Titel „Tesori d’Italia“?

Mayer: Wir wollten gerade diese Internationalität im Programm haben, um zu erklären, warum wir hier eine so unglaubliche stilistische Bandbreite haben. Auch Sammartini war ja ein Mann, der viel gereist ist und sich immer wieder informiert hat, wo es welche neuen Strömungen und Stile gab und was er davon lernen konnte.

RONDO: Mit „I musici di Roma“ haben Sie absolute Spezialisten für das Repertoire dieser Epoche zur Seite. Wie halten Sie es selbst mit der historischen Aufführungspraxis?

Mayer: Die halte ich für eine Illusion … aber eine sehr schöne Illusion. Ich habe rund 25 Jahre mit Nikolaus Harnoncourt gearbeitet, der immer gesagt hat, am Ende des Tages wissen wir immer noch nicht hundertprozentig sicher, wie man damals wirklich gespielt hat. Auch nach der Recherche aller verfügbaren Quellen können wir bestenfalls versuchen, uns anzunähern. Wichtig ist mir einfach, dass es sich für uns im Moment des Musizierens richtig anfühlt und das Publikum glücklich aus dem Konzert hinausgeht.

Neu erschienen:

Tesori d’Italia

Albrecht Mayer, I musici di Roma

DG/Universal

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Tobias Hell, 25.11.2017, RONDO Ausgabe 6 / 2017



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